Jon Krakauer ist bekannt geworden durch ausgesprochen spannende Thriller wie
"In eisige Höhen", wo er spannend über die Auswüchse des
kommerziellen Bergsteigens berichtete. In seinem aktuellen Buch untersucht er
anhand eines grausamen Mordes die Ursachen und Auswirkungen des religiösen
Fundamentalismus. Wenn "Newsweek" schreibt, dieses Buch sei das
"unheimlichste, erschreckendste Buch, das seit langem geschrieben
wurde" mag dies im ersten Moment als einer von vielen Werbesprüchen
erscheinen. Doch nach dem Lesen muss ich konstatieren: das Buch geht unter die
Haut. Es erzählt - ausgehend von einem Mordfall im Jahre 1984 - die Geschichte
der Mormonen, die vor rund 170 Jahren gegründet wurde. Sie bringt ihre
Anhänger dazu, missliebige Personen, ja auch Verwandte, eiskalt zu ermorden. Am
24. Juli 1984 findet Allen Lafferty abends seine Frau und seine fünfzehn Monate
alte Tochter grausam ermordet auf. Der Tat verdächtigt werden seine Brüder Ron
und Dan Lafferty wegen Mordes an diesen beiden Personen verurteilt. Beide
behaupteten, die Stimme Gottes habe sie zu diesen Taten verführt. Ron wurde
wegen Mordes verurteilt, Dan Lafferty manipulierte jedoch zwei der zehn
Geschworenen, so dass die zur Verhängung der Todesstrafe notwendige
Einstimmigkeit nicht zustande kam. Er wurde daraufhin zu zweimal lebenslänglich
verurteilt. Das Außergewöhnliche an diesem Fall war nicht nur die Brutalität,
sondern die ausgesprochene Reuelosigkeit der Täter, beides fundamentalistische
Mormonen. "Die beiden Morde sind aus vielerlei Gründen schockierend, aber
nichts ist so beunruhigend wie Laffertys völlige und entschiedene
Reuelosigkeit. Wie konnte ein anscheinend geistig gesunder, erklärtermaßen
frommer Mann eine unschuldige Frau und ihr Baby auf so grauenhafte Weise und
ohne die geringste Gefühlsregung umbringen? Woher nahm er die moralische
Rechtfertigung? Was erfüllte ihn mit solcher Gewißheit?...Es gibt eine dunkle
Seite der Frömmigkeit, die zu oft übersehen oder geleugnet wird. Um jemanden
dazu zu bringen, grausam und unmenschlich zu sein...ist vielleicht nihts so
geeignet wie die Religion. Beim Thema religiös motivierter Morde denken viele
Amerikaner sofort an islamischen Fundamentalismus, was nach den
Terroranschlägen auf New York und Washington am 11. September 2001 nicht
überrraschend ist. Aber schon seit die Menschen an Götter glauben, haben sie
im Namen Gottes verabscheuungswürdige Taten verübt, und Extremisten gibt es in
allen Religionen.....Ziel dieses Buches ist es, etwas Licht auf Lafferty und
seinesgleichen zu werfen. Auch wenn der Versuch, solche Menschen zu verstehen,
eine entmutigende Aufgabe ist, erscheint er mir dennoch nützhlich - wegen
allem, was er uns über die Wurzeln brutaler Gewalt sagen könnte, und erst
recht wegen allem, was wir über das Wesen des Glaubens erfahren könnten."
(S. 19-21).
Krakauer lehnt nicht Religiosität ab, sondern - und dies wird ganz eindeutig
klargestellt, religiösen Fundamentalismus, hier dargestellt anhand der Sekten
der Mormonen, die ihren Jüngern einredet, Morde seien gottgewollt. Wer denkt da
nicht an den religiösen Fundamentalismus unserer Zeit? Doch wie Dostojewski in
seiner Legende vom "Großinquisitor" hervorragend verdeutlicht hat,
ist das Fehlen von Verständnis und Toleranz anderen Meinungen und Kulturen
gegenüber, das Vorherrschen von Intoleranz und Engstirnigkeit, die Neigung zu
dualistischer Schwarz-Weiß-Malerei eine Ursache der Gewaltbereitschaft.
Unsichere Persönlichkeiten, die in Sekten Halt und Geborgenheit suchen, werden
von diesen ausgenutzt und - wie im Fall Lafferty - zu verbrecherischen und
barbarischen Taten aufgestachelt.
Fazit
Diesen Kreislauf anhand des Falles Lafferty und der Mormonensekte eindrucksvoll
illustriert und spannend als Reportage dargestellt zu haben, darin liegt das
Außergewöhnliche dieses wirklich besonderen Buches. Unbedingt lesenswert!!!
Vorgeschlagen von Bernhard Nowak
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veröffentlicht am 28. April 2004 2004-04-28 20:24:08