Der nächste Schwede
Die nordischen Nachbarn erarbeiten sich in den letzten Jahren bis Jahrzehnten
eine enorme Briete an Thriller- und Kriminalautoren, von denen Jens Lapidus seit
seinem Debüt "Spür die Angst" ein im Stil durchaus anders
vorgehender Autor ist. In "Mach sie fertig" kommt diese stilistische
und formale Eigenart intensiv zum tragen.
Über weite Strecken des Romans folgt Lapidus zwar hintergründig (kaum
wahrnehmbar) einem roten Faden, aber erst im letzten Drittel des Buches wird
deutlich, wie die vielfachen Schnipsel, die vielfachen fast nebensächlich
anmutenden Ereignisse zusammengehören (und welche der vielen, kleinen
Ereignisse keine größere Bedeutung für den Gesamtzusammenhang haben werden,
durchaus aber in der Situation wieder etwas beleuchten, was für das
Verständnis der Figuren von Bedeutung ist).
Drei Männer stellt Lapidus in den Mittelpunkt der Ereignisse. Den Albaner
Mahmud, Ghetto Kind, Bodybuilder, Kleinkrimineller, der nach seiner Zeit im
Gefängnis im großen Zusammenhang der Mächtigen der Unterwelt mehr und mehr
gezielt in die Fänge der jugoslawischen Mafia verstrickt wird. Niklas, eine
ehemaliger Söldner, versucht, im zivilen Leben Schwedens wieder Fuß zu fassen,
erträgt die Nähe seiner Mutter kaum, taucht immer wieder innerlich ab in die
Zeiten der Gefechte an den verschiedenen Schauplätzen der Welt und sucht (und
findet) ein neues Kampfgebiet. Misshandelte Frauen endgültig von ihren
jeweiligen Peinigern befreien, generalstabsmäßig geht er diese Aufgabe an,
ohne darauf zu achten, dass die entsprechenden Frauen diese Hilfe auf diese Art
nicht wollen würden. Und Thomas, Kriminalbeamter. Desillusioniert. Hart. Mit
deutlich erkennbar sexuellen Problemen seiner Frau gegenüber befrachtet,
innerlich erschüttert von der Unmöglichkeit, durch eigene Kinder sein
Familienideal umzusetzen, Tief ruhig und glücklich nur auf dem Schießstand.
Und unter Druck, wie seine Frau das Problem durch eine Adoption lösen will.
Drei Männer, die eine Aufgabe suchen. Die innerlich auf dem Weg sind und doch
mehr taumeln, denn erkennbar auf ein Ziel zusteuern.
Ein Toter wird gefunden, verstümmelt bis zur Unkenntlichkeit, weder
Fingerabdrücke noch eine Identifizierung durch die Zähne sind möglich. Ein
Obdachloser, der aber Thomas keine Ruhe lässt. Er verbeißt sich in den Fall
und wird dies bereuen. Vordergründig, weil er durch eine geschickte Intrige
innerhalb der Dienststelle vom Fall abgezogen und der Verkehrspolizei
überstellt wird, hintergründig, weil er durch diese Ereignisse nicht von dem
Fall abzubringen ist einerseits und andererseits angeheuert wird von jener
Mafia, die auch Mahmud in ihre Fänge genommen hat. Und stellt im Zuge seiner
Ermittlungen fest, dass jener Tote durchaus mit der Ermordung Olof Palmes zu tun
haben könnte (die auch real bis heute nicht aufgeklärt ist). Wer steckt alles
hinter seiner Versetzung und warum soll hier etwa verschwiegen werden?
So beginnen die Fäden sich zu verweben und ein Gesamtbild entsteht langsam, in
dem die drei einander völlig Fremden sich gemeinsam verstricken werden.
Jede der Figuren ist intensiv angelegt, bis hin zum Stil, den Lapidus zu jeder
Person passend im Buch entfaltet. Stichworte fast nur, Hektik, ständiges
Plappern, assoziativ die Sprache und das Umfeld Mahmuds. Zynisch, hart,
wortkarg, düster die Sprache und die Erlebniswelt des Polizisten Thomas.
Vordergründig gewählt, reflektierend, klar die Gedanken des Soldaten Niklas,
hintergründig mehr und mehr in den Wahn abtauchend. In Scheiben erzählt
Lapidus auf diese Art seine Geschichte, beständig wechseln die drei Figuren in
gleicher Reihenfolge einander im Buch Kapitelweise ab.
Fazit
Intensiv und dicht, emotional hervorragend beschrieben und mit einem intelligent
konstruierten Fall, dass ist die eine Seite des Buches, die ein hohes
Lesevergnügen in den Raum stellt. Anders als gewohnt, das auf jeden Fall.
Brüche und Perspektivwechsel, sprachliche Stiländerungen am laufenden Band,
auf Dauer ist dies aber auch anstrengend und bedarf einer hohen Konzentration,
um den Zusammenhang der einzelnen Figuren nicht aus dem Blick zu verlieren. Ein
Stück weniger wäre hier mehr gewesen, ab und an das Weiterverfolgen eines
Erzählfadens wünschenswert, statt umgehend wieder in die Welt einer der
anderen beiden Figuren eintauchen zu müssen. Überwiegend aber ein intensives
und spannendes Buch, welches das Lesen auf jeden Fall lohnt.
Vorgeschlagen von Lesefreund
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veröffentlicht am 07. Juni 2011 2011-06-07 11:48:16