Wer T sagt, muß auch E sagen: Bertolt Brecht war Theater-dichter und Erzähler.
Hunderttausende Mal verkauften sich seine Kalendergeschichten nach ihrem
Erscheinen 1949 (1975 über eine Million Exemplare); sie waren die erste
Veröffentlichung des Nachkriegs-Brecht in Deutschland. Nun legt der Suhrkamp
Verlag, in dem Brecht Hausmacht hat, mit einer Neuauflage nach. 152 Seiten oder
17 Kapitel oder acht Erzählungen + acht erzählerische Gedichte + 39
"Geschichten vom Herrn Keuner". Trotz des enormen Absatzes seiner
Kalenderkuriositäten, dürfte jeder Brecht-Laie in ihnen viel Neues finden, und
der Brecht-Kenner wird einmal mehr verblüffen, denn der reife Brecht ist
gefühlvoll, anregend, rätselhaft, raffiniert, vergnüglich, intelligent,
"geschichtlich", d. h. Geschichte korrigierend, mitreißend, präzise,
unaufdringlich weise, wahr; kurz: Brecht prall, und Brecht besser als O. M. Graf
oder E. Strittmatter. Den Start nimmt "Der Augsburger Kreidekreis",
eine fabelhafte Auseinandersetzung mit der Frage, ob die biologische Mutter mehr
Recht auf ihr Kind habe als dessen soziale Mutter. Anschließend die
"Ballade von der Judenhure Marie Sanders", Zeilen, die inhaltlich
herber und bedrohlicher ausfallen als der Kreidekreis; Brecht ordnete seine
Texte "komplementär" (Nachwort) an, weswegen man sich in die Ballade
nicht sofort hineinfindet, man steht noch als Anna (Kreidekreis), der
vermeintlichen Hure, vor dem Richter, während Marie (Ballade) als
"Judenhure" von spottendem Hitlervolk umjohlt wird.
Fazit
Einer der großen Brecht-Entdecker unserer Zeit, Jan Knopf, rundet mit seinem
Nachwort einen nach wie vor aktuellen Brecht ab.
Vorgeschlagen von Paul Niemeyer
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veröffentlicht am 27. August 2003 2003-08-27 13:09:34