Ein sehr persönlicher Blick auf das Altern
Eine ganz besondere Zeit ist es, nach eigener Aussage, in der Sven Kuntze sich
befindet. Eine "geschenkte" Zeit, geschenkte 15 Jahre, die
Generationen vorher nicht gegeben waren.
Jene Zeit zwischen 60 und 75 (plus minus), die einerseits meist schon im
Ruhestand verbracht werden, keine dringende "Arbeitsaufgabe" (und
damit landläufig auch Sinn) mit sich bringen, die andererseits aber noch viele
Möglichkeiten offen lassen würden und nicht, wie in den Generationen vor Sven
Kuntze (Jahrgang 1942), bereits dem Greisenalter zuzuzählen sind.
Er selbst ist diesen Schritt irgendwann gegangen, vom aktiven Journalisten in
den Ruhestand hinein und hat diese Erfahrungen, vor allem aber viele
grundlegende Gedanken zum Altern nun in Buchform vorgelegt. Kein Ratgeber ist
es, was er geschrieben hat, sondern eine Zustandsbeschreibung, nach einigen,
großen Themen hin geordnet, die intensiv im Tonfall und den dahinter
erkennbaren Emotionen nun im Raum steht.
Durchaus ironisch bis zynisch, in Teilen enttäuscht wirkend, aber auch mit so
manchen Ratlosigkeiten daherkommend, bis hin zum (natürlich ohnmächtigen)
Auflehnen gegen das, was an körperlichem Verfall noch zu erwarten ist.
Wobei Kuntze durchaus nicht nur von eigener Seite nun her, sondern bereits im
Vorfeld sich kompetent mit diesem Lebensabschnitt beschäftigt hatte. Im Zuge
seiner Arbeit hatte er sich bereits einmal 3 Monate in ein Seniorenzentrum
eingemietet. Erfahrungen, die vielfältig mit in seinen Lebensbericht, so kann
man das Buch nennen, einfließen. Da, wo die Blumen noch blühen auf dem Balkon,
da sitzen die regen Bewohner, da, wo das Gestrüpp verdorrt, da geht es auch im
Zimmer dem Ende entgegen.
Wirken der Einstieg und die ersten 20, 30 Seiten durchaus eher zynisch geprägt,
so, wie sich Kuntze nun dem "verdrießlichen Sujet" (dem Alter)
zuwendet in seinem Rundumschlag gegen Floskeln wie "Das Alter als
Chance" oder angesichts des soziologischen Problems, dass "die
rüstigen Alten" mehr und mehr in den Raum setzen, entfaltet sich das Buch
im Lauf der Zeit als eine sehr grundlegende und nachdenklich stimmende
Betrachtung des Lebens (aus "gealteter" Sicht heraus), die höchst
lesenswert sich wesentlichen Themen nähert.
Mitnehmend auch gerade da, wo sich Kuntze dem "Erbe" seiner Generation
stellt. Was an Leben wirklich tief mitgenommen wird ins Alter. Wenn er spitz
formuliert, dass "Friede, Wohlergehen und das Primat der Äußerlichkeit
vor dem der Persönlichkeit" eben kaum wirkliche Spuren auf den Gesichtern
hinterlassen haben (wie auch, wenn es immer nur um das eigene, kleine, äußere
Wohlergehen ging), dann reichen seine Anmerkungen durchaus über das enge Thema
des Buches hinaus und stellen die Lebensfrage an jedes Alter. Durchaus
selbstkritisch betrachtet Kuntze hier den eigenen Lebensweg und vermag es
verständlich und emotional, den Leser an dieser Kritik teilhaben zu lassen.
Aber auch thematisch ist das Buch durchaus gehaltvoll. Die Betrachtungen des
"Müßigganges" mitsamt der kulturgeschichtlichen Herleitung, seine
deutliche Wendung gegen eine fast schon genetisch verankerte
"protestantische Arbeitsethik", die aus manchen Rentnern noch Menschen
mit komplett gefülltem Terminkalender machen, weisen nicht nur für das
Rentenalter, sondern letztlich für jeden erwachsenen Menschen eine durchaus
bedenkenswerte Richtung zur Reflektion des "Mangels an Muße", den das
"tätige Leben" zu bieten hat und damit eine Reflektion der reinen
"Veräußerlichung" menschlichen Seins in der modernen Welt.
Der "schöne Schein des Alters", den setzt Kuntze zum Einstieg bereits
einer Entzauberung aus und nimmt auch im Blick auf Müßiggang, Zeit für die
Zukunft, Weisheit des Alters, Einsamkeit, die Leiblichkeit und anderen Themen
kein Blatt vor den Mund.
Fazit
Mit Humor, teils aber auch bitterer Ironie, nie schöngeredet und immer ganz aus
seiner persönlichen Erfahrungswelt heraus findet sich eine illustre
Desillusionierung des Alters und Alterns, in der dann aber immer wieder die
Schätze jener Zeit, die Erlebnistiefe und die Freiheit aufblitzen. Auch die
Freiheit für das ein oder andere Glas Rotwein zu viel.
Ein Buch, dass trotz aller Entzauberung schönredender Floskeln Mut macht für
die "Zeit danach". Die nicht dem "Anti-Aging" Stress
geopfert werden sollte und auch nicht einem zu einem endlosen Sterben führen
sollen. Denn "es ist noch nicht alles gesagt", sagt Kuntze fast ganz
zum Schluss zu Recht.
Vorgeschlagen von Lesefreund
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veröffentlicht am 31. Mai 2011 2011-05-31 15:13:46