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Jan Guillou: Evil

Evil

von Jan Guillou
Verlag: dtv [mehr Bücher von diesem Verlag zeigen]
Sparte: Jugendroman
ISBN-13 978-3-423-62301-8

Preis: 9,95 Euro bei Amazon.de [Stand: 24. November 2024]
Das Buch "Evil" wurde bereits 1981 verfasst. Ins Deutsche übersetzt wurde es 2005, vermutlich anlässlich der gleichnamigen schwedischen Verfilmung.

Story: Schweden, Ende der 1950-ger Jahre. Der 14-jährige Erik wird von seinem Vater ständig misshandelt und brutal zusammengeschlagen. Die Mutter schaut weg. Dies prägt sein Leben und auch er verinnerlicht gewaltsames Handeln. So steigt er zum Chef einer Jugendbande auf, die andere Schüler "abzieht". Nach Diebstählen in Schallplattenläden fliegt die Bande auf und Erik muss die Schule verlassen. Seine letzte Chance, einen Schulabschluss zu erhalten, ist das Internat Stjärnberg. Dieses gilt als Eliteschule, in der allerdings ein drakonisches Regiment herrscht - doch nicht etwa von den Lehrern, sondern von sadistischen Primanern, die die unteren Klassen nach Strich und Faden schikanieren. Sie nehmen sich dieses Recht heraus, denn zu Beginn ihrer Schulkarriere wurden sie ja ebenfalls schikaniert. Diese können ihr sadistisches Treiben jedoch nur deshalb ungestört vollziehen, weil die Lehrer auf Anweisung des Rektors "wegschauen". Doch Erik lässt sich diesen Terror nicht gefallen und besiegt Primaner und Mitglieder ihres "Regierungsorganes", des sogenannten "Rates" (ein Schülerrat mit Sonderrechten, bestehend aus Oberstufenschülern) und "konterkariert" so die Wertvorstellungen der Schule: zu "wehrhaftem" Menschen"material" zusammenzuwachsen, welches für das Leben "gestählt" wird (Ernst Jünger und die Nazi-Ideologie lässt grüßen). Die Primaner wiederum rächen sich, indem sie Eriks besten Freund, den sanften Pierre, schikanieren und schließlich dazu bringen, die Schule fluchtartig zu verlassen. Die Gewalt eskaliert, als Erik "gesenkt", d.h. mit heißem Wasser übergossen wird und daran beinahe stirbt. Diesen "Vorfall" kann die Schule nicht verharmlosen und unter die Decke kehren. Erik jedoch rächt sich an dem Anführer des "Rates" und bringt sein Schuljahr wie geplant zu Ende, ohne vorzeitig entlassen zu werden und somit ohne Abschluss und Perspektive dazustehen. Aufgrund seiner Intelligenz erhält er sogar - mit Ausnahme der Note in "Betragen" - das beste Zeugnis, denn der einzige Schüler, der ihm in den Fächern überlegen war, sein Zimmergenosse Pierre, war ja mittlerweile vertrieben. Erik sehnt sich zwar nach einem Leben ohne Gewalt, doch nach dem Schulabschluss - er will an einer Universität Jura studieren - rächt er sich noch an seinem Vater. Dieser unterschätzt, welchen EInfluss Stjärnsberg auf seinen nun sechzehneinhalbjährigen Sohn hatte und meint, noch den harmlosen 14-jährigen Jugendlichen vor sich stehen zu haben. Da hat er sich sehr geirrt...


Selten hat mich ein Buch über das Thema so gefesselt wie dieser intensiv geschriebene Roman, der - nach der obigen Filmbesprechung - auf autobiographischen Erlebnissen beruhen soll. Er lässt einen nicht mehr los und dies habe ich auch in etlichen Kritiken zu diesem Buch gelsen, welches 2007 auf die Nominierungsliste des deutschen Jugendliteraturpreises kam. Mit Ausnahme von Tessnows Buch: "Knallhart", welches ein ähnliches Thema noch kompromissloser behandelt, kenne ich kein Buch zum Thema, welches mir so "unter die Haut" gegangen ist.

Warum? Weil es beunruhigende Fragen stellt, die diskutiert, aber nicht beantwortet werden. Warum wird Erik gewalttätig? Prägt die Erziehung seinen Charakter? Ist Gewalt nötig, um friedlich leben und "in Ruhe gelassen" zu werden und haben pazifistische Gesinnungen und Schüler, die versuchen, im Sinne Mahatma Gandhis zu leben, keinen Erfolg oder Ruhe nur um den Preis des "Wegschauens" und der "Feigheit"? Ist der Mensch also "des Menschen Wolf", wie es Thomas Hobbes einmal formuliert hat und Friedenserziehung wertlos und zum Scheitern verurteilt? Muss daher Gewalt mit Gewalt "beantwortet" werden und gilt das "Recht des Stärkeren?" Solche Fragen lassen einen nicht mehr los, wenn man das Buch gelesen hat.

Das Buch besticht durch eine große Intensität, wenn auch nicht alle Charaktere "stark" gezeichnet werden und die Handlung m.E. nicht frei von Unstimmigkeiten ist. So fragt sich der Leser beispielsweise, warum sich die Oberstufenschüler nach der ersten Niederlage ihres Vertreters beim Zweikampf im sogenannten "Karo" nicht gleich zusammentun und Erik gemeinschaftlich zusammenschlagen. Erik selber wirkt wie eine Art "Superman", dem niemand etwas anhaben kann, der aber von den Schülern - auch der Mittelstufen - gehaßt wird und zwar aus zweierlei Gründen: Weil er die "gewohnte Ordnung" in Frage stellt und auch seine eigene Klasse zunehmend daran erinnert, dass ihr Verhalten, welches sie als "lebensklug" empfinden, auch als feige empfunden werden kann.

Das Buch beeindruckt mich deshalb, weil es keine Lösungen im "Schwarz-Weiß"-Format erzwingt. Vielleicht passt auf dieses Buch das Schlusswort des großartigen, leider viel zu früh verstorbenen Historikers Thomas Nipperdey, der am Ende seiner"Deutschen Geschichte 1866-1918", kurz vor seinem Tod, folgende Sätze schrieb: "Denn zum modernen...Charakter gehören ebenso die größere Komplexität und Sensibilität, die größere und einfühlsame Elastizität im Umgang mit anderen und mit sich selbst, die größeren Schwierigkeiten und Ambivalenzen...gehören die Lockerungen der Konventionen und dann die Rebellionen gegen sie, gehören die Freisetzung von Gefühlen aus den strengen Einbindungen...Die Menschen unterschieden sich nicht in gute und böse...Die Grundfarben der Geschichte sind nicht Schwarz und Weiß, ihr Grundmuster nicht der Kontrast eines Schachbretts; die Grundfarbe der Geschichte ist grau, in unendlichen Schattierungen."
(Thomas Nipperdey: Deutsche Geschichte 1866-1918, Bd. II: Machtstaat von der Demokratie. - München: Beck-Verl., 1998, S. 905).

Diese Worte am Schluss seines großen Geschichtswerkes fassen m.E. auch sehr gut die "Grundphilosophie" dieses Romans zusammen; eines Werkes, welches mich nicht losgelassen hat und welches mich wohl auch in Zukunft nicht mehr "loslassen" wird, so sehr hat es mich aufgewühlt.
Fazit
Unbedingte Empfehlung!
10 Sterne10 Sterne10 Sterne10 Sterne10 Sterne10 Sterne10 Sterne10 Sterne10 Sterne10 Sterne

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Vorgeschlagen von Bernhard Nowak [Profil]
veröffentlicht am 28. Mai 2011

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