Die "Gesellschaft zur Bekämpfung der Nüchternheit"
Peter Richter hat es getan. Ein sehr entspanntes Buch mit einer äußerst
kontroversen Meinung zu einem der am meisten verbreiteten Genussmittel der Welt
verfasst. Selbst in islamischen Ländern soll es vorkommen, dass heimlich, im
Haus (da, wo Allah es nicht sieht), das ein oder andere Glas Hochprozentiges zum
Mund (und hinein) geführt wird.
Alkohol.
Von Grönemeyer warnend besungen, von zigtausend Menschen über das Maß hinaus
als Krankheit leidvoll erlebt, allüberall als Genussmittel, Auflockerer,
Anstosser, zur Feier des Tages und überhaupt angeboten, dargereicht, im
Schrank, auf der Theke.
Und das, wie Richter bereits in den ersten Sätzen mitteilt, auf keinen Fall in
allererster Linie aufgrund des Geschmackes. Der Geschmack ist nicht alles,
"sondern schon die Wirkung zählt". Maßvolles Trinken ist eben nur
ein "Flirt mit dem Rausch" und irgendwann muss man sich schon trauen,
"einen Schritt weiter zu gehen". Sagt Peter Richter.
Was soll man sagen zu solch einem politisch völlig unkorrekten Ansinnen? Gut
geschrieben, kann man sagen. Humorvoll erzählt, durchaus mit Hintergrund
verfasst, denn eine ganze Kultur des Trinkens taucht in den Kapiteln des Buches
auf, oft und oft mit einem Augenzwinkern, nicht ganz bierernst gemeint, aber
dennoch schwingt eines mit: Sich den Genuss nicht verbieten zu lassen. Ein
zweischneidiges Schwert in einer Gesellschaft, einem Europa, in dem die Quellen
des Schnapses viel zu oft zu eifrig sprudeln. Komatrinken bei Jugendlichen,
Unfälle mit Todesfolge ob Fahren unter Alkoholeinfluss.
Um das Buch mit Genuss zu lesen, ist somit zunächst eines nötig: Das
Vertrauen darin, dass Peter Richter genau diese Seite des Trinkens nicht im Sinn
hat und kein Plädoyer für den Alkoholismus hält, sondern, wie er selbst
betont, nicht die Gefahren verharmlosen, sondern lernen "trittsicher drum
herum zu tanzen". Einen Einblick mit Humor und feiner, der auf die
Genussseite des Alkohol achtet (das aber dann auch richtig und nicht nur
Nippen!).
Die obengenannte Gesellschaft hat es übrigens wirklich gegeben. August der
Starke hat sie gegründet, aus eigener Erfahrung heraus, wie leicht das Leben,
wie locker das Gespräch, wie nichtig manche kriegstreibende Konflikte unter
einigen Flaschen Wein doch erscheinen, wenn man sich mit "dem Feind"
erst mal ordentlich zusammensetzt und den Alkohol laufen lässt. Was übrigens
zwischen Preußen und Sachsen auch nicht auf Dauer gefruchtet hat. Aber dennoch
erstmal eine gute Idee war.
Redegewandt lässt Richter so die Traditionen des Trinkens Revue passieren.
Erläutert, dass Alkohol über Jahrhunderte das gesündeste Getränk war
(wesentlich gesünder als das überaus verschmutzte Wasser), dass Trinken
Jahrhunderte lang gar ein Zwang war.
So findet Richter im Lauf des Buches klar und deutlich eine Mitte. "Dauernd
trinken zu müssen ist eine Horrorvorstellung, gar nichts mehr trinken zu
dürfen allerdings auch". Und "Prosit" heißt nun mal:
"Möge es nutzen". Manchen Politikern der Geschichte. Vielen
Schriftstellern und Kunstschaffenden. Dem ein oder anderen, um den Mut zur
Brautwerbung zu finden. Kann es gar sein, dass das Sesshaft werden des Menschen
in direktem Zusammenhang mit der Lust auf einen kleinen Rausch (und das öfter)
zu tun hatte? Eine Lust, die, wie das Rauchen, mehr und mehr
"offiziell" in den Hintergrund gedrängt wird (Geschäfte werden schon
lange nicht mehr im Rausch getätigt oder mit einem Rausch gefeiert).
Fazit
Peter Richters Buch ist ein Plädoyer (fast) für vergangene Zeiten, Sitten und
Bräuchen in und um den Alkohol herum. Ernst gemeint, humorvoll geschrieben,
informativ und provokant. Gegen jede Zeitgeist-Vernunft, aber für eine
bestimmte Form des Genusses, der das Leben auch lebenswert gemacht hat über
hunderte von Jahren (und, noch einmal betont, für das trinken wollen, nicht
trinken müssen, für das gemeinschaftliche Erleben, nicht für die einsame
Krankheit). Natürlich darf man das Buch nicht lauthals gut heißen bei allen
Gefahren des Alkohols, um die doch jeder weiß, heute. Aber mit Freuden lesen
auf jeden Fall.
Vorgeschlagen von Lesefreund
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veröffentlicht am 27. Mai 2011 2011-05-27 12:23:37