Die Orte der Ereignisse sind Markaska, die Perle an der kroatischen Küste und
Paris, die Stadt der Kunst und Malerei
und zugleich die Hauptstadt Frankreichs.
In der Erzählung von N.Dragnic, die wie ein psychologischer Entwicklungsroman
angelegt ist, läßt die Autorin die frühe Kindheit, den Trennungsschmerz der
Kinder, Jugend, Erwachsensein, das zufällige Zusammentreffen beider
Protagonisten auf einer Kunstausstellung, das befristete Zusammenleben als
erwachsene Menschen, die "endgültige Trennung" als Flucht vor einer
Entscheidung vor den Augen des Lesers vorbeiziehen, ein letztes Zusammenkommen
und ein Ende, das manches offenläßt, wie bei Skakespeare, was die
Schriftstellerin selbst so andeutet.
In diesem Roman, mit einer Geschichte wie aus einer fernen Vergangenheit, ist
alles enthalten: eine unbeschwerte frühe Kindheit, was durch die Erwähnung von
Mato Lovrak und seinem Jugendroman " Zug im Schnee" signalisiert wird,
und später eine Welt voller Gefühle und Gedanken, geprägt von Warten und
Hoffen, zwischen Dora und Luka, als hätte Pablo Neruda von ihrer Existenz
gewußt. Überhaupt Pablo Neruda. Seine Sonetten werden zum Ausdrucksmittel
ihrer tiefsten Sehnsüchte, Wünsche und Hoffnungen.
Der Romantitel " Jeden Tag, jede Stunde " stammt aus einer Verszeile
eines Liebessonettes Nerudas.
Dora und Luka sind auch sogenannte sprechende Vornamen. Dora, die Kurzform von
Theodora oder Dorothea, bedeutet nichts anderes als das " Gottesgeschenk,
Gabe Gottes.
Lukas ist einer der vier Evangelisten des Neuen Testaments.Deutet man es als
altgriechisches Wort, bedeutet es so viel wie " ins Licht
hineingeboren". Wie passend für einen Maler, der das Licht und die Farben
liebt.
Ihre Sprache ist einfach und klar, voller sprechender Bilder, die sich
eindringlich im Kopf des Lesers festsetzen. Die Sätze aus ihrer Feder sind
rhythmisch, lange und kurze Sätze wechseln sich in rascher Folge ab, wie die
Wellen an einem Sommertag an der Adria: sanft und lang, und dann wild und kurz.
Ein Wort mit einem Punkt ist oft ein Satz. Und besonders auffällig, als
Stilmittel, die Wiederholung von bedeutsamen Sätzen an bestimmten Stellen.
Ein besonderes und eigenes Kapitel sind Lukas Ohnmachtsanfälle sowie die zwei
Männer, mit denen Dora
für eine kurze Weile in Paris verbunden war und die Beziehung
und spätere Ehe Lukas mit Klara. Alle drei Personen sind die traurigen
Verlierer in diesem Spiel, weil sie nicht teilhaben können, an den
Kindheitsgeheimnissen beider Protagonisten.
Lukas als Liebender wird in seiner ganzen Schwäche schonungslos gezeichnet,
weil er nicht die Kraft besitzt, den Traum aus seiner Kindheit, zu
verwirklichen. Aber auch Dora ist nicht Starke, denn sie ist nur stark, durch
die Liebe zu Lukas.
Fazit
Der Roman ist für mich ein Juwel moderner Erzählkunst, zugleich spannend und
empfindungsreich, nachdenklich und temperamentvoll, optimistisch und
melancholisch. Ganz der europäischen Tradition verpflichtet, unbeeinflußt vom
Postmodernismus.
Fast ist man geneigt zu sagen, der Roman " Jeden Tag, jede Stunde" ist
eine moderne Version eines uralten Märchenstoffes,
eingebettet in einer traumhaften Wortmalerei über das Lebensgefühl am Meer und
den darüber hinwegziehenden Wolken. Sie werden zum Geheimnis und Symbol ihres
Lebens.
Vorgeschlagen von Oswald Poplas
[Profil]
veröffentlicht am 13. Mai 2011 2011-05-13 09:22:11