Etwas anders als sonst und wie immer glänzend erzählt
Eine Kurzgeschichte, die King wie nebenbei in letzter Zeit vielleicht auch noch
geschrieben hat, neben seinem vor kurzem erschienen, wie sonst üblich sehr
umfangreichen Roman. Aber ein echter "King" ist das, keine Frage, denn
die Eckpunkte sind allesamt wieder gut zu erkennen: am sich immer tief einlassen
auf die Figuren, was King, in der Regel und auch hier, nicht durch
psychologisieren oder monologische Darstellungen dem Leser nahe bringt, sondern
durch das Erzählen seiner Geschichte und das beständige Handeln der Personen
in dieser. Wie dabei die Hauptfigur Scott bei einem 12 Kilometer Lauf jener Frau
"unter die Arme greift", die ihn als Nachbarin ansonsten überaus von
oben herab behandelt, das sagt allemal deutlich mehr aus als es andere Versuche
von Erläuterungen hinbekommen hätten.
Das Leben in einer kleinen Stadt, die gleichgeschlechtliche Liebe, die freie
Entscheidung eines Mannes, seinen Weg auf seine Weise zu gehen, Reibungen und
Auseinandersetzungen, das geduldige "sich vertraut machen", viele
Elemente lässt King, wie gewohnt, spielerisch auf die eher wenigen Seiten
miteinfließen, so dass dem Leser ein plastisches, klarer, emotional dichtes
Bild der Handlung und der Personen vor Augen geführt wird, das, ebenfalls wie
immer, den Leser auf Anhieb mitten hinein in diese besondere Geschichte zieht.
Bei der, das ist für Stephen King nicht unbedingt üblich, die
"Ursache" für das fast "metaphysische" (im wahrsten Sinne
des Wortes) Geschehen nicht weiter erwähnt und noch nicht einmal Andeutungen zu
einer möglichen Ursache vermerkt. Was, und darin zeigt sich die Kunst des
flüssigen Erzählers, überhaupt nicht weiter ins Gewicht fällt oder stört
oder ablenkt.
Scott wird immer leichter. Aber nicht so, wie in einem anderen, alten Werk
Kings, das dies auch zu sehen wäre im anorektischen Sinne. Der Körper bleibt
unverändert, die Kleidungsgrößen ebenfalls, kein Gürtel muss enger
geschnallt werden. Mehr noch, alles, was dieser Scott in die Hand nimmt,
verliert ebenfalls sein reales Gewicht. Wohin das führen mag? Das kann man mit
Spannung lesen, Seite für Seite.
Wobei jene eher unscheinbare Szene nebenbei, als es fast zu einer handfesten
Prügelei vor einem Diner kommen könnte, eine Art Dreh- und Angelpunkt der
Entwicklung darstellt. Bei der gutmütige, freundliche, aber auch seinen Ärger
wenig wahrnehmende, eher defensive Scott sich mehr und mehr so sehr
"erleichtert" fühlt, endlich auch hartnäckig für sich und das, was
ihm wichtig ist, einzutreten. Ein Prozess, der mit einer "Erhebung"
gleichzusetzen ist. Wörtlich und im übertragenen Sinne. Mit den Schmerzen des
Loslassens ebenso, wie mit dem "traurigen Glück", einander seinen Weg
zuzugestehen und einander auch gehen lassen zu können.
Vorgeschlagen von Lesefreund
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veröffentlicht am 29. November 2018 2018-11-29 14:02:09