Anders Leben
Jeder hat sicherlich so seine Vorstellungen von der Lebensweise jener Menschen,
die man gemeinhin "Aussteiger" nennt. Interessanterweise, im Groben
zumindest, werden jene Vorstellungen durchaus erhärtet durch das Buch von Jan
Grossarth, wenn auch manche Feinheiten hinzutreten, die ein differenzierteres
Bild entfalten als die gängigen, pauschalen Vorurteile vom sogenannten
"einfachen Leben" nund den "weltfremden Spinnern", die es
führen.
Jan Grossarth hat sich auf Spurensuche jener begeben, die (übrigens in manchen
Fällen gar nicht leicht zu finden), andere, alternative Lebenswege für sich in
den Raum stellen. Unterschiedlichste Konzepte sucht und findet er auf diesem
Weg. Von zurückgezogen lebenden "Selbstversorgern" über ganze
alternative Dörfer und religiöse Gemeinschaften bis hin zum ehemaligen
Investmentbanker, der nun ein Restaurant auf einer Berghütte eröffnet.
Wohltuend darstellend und nur sachte wertend stellt Grossarth Menschen,
Konzepte, Lebensumfelder vor, die bei aller Unterschiedlichkeit geeint sind in
ihrer Lebensform jenseits bürgerlicher Normen, geprägt oft von großer
Einfachheit und Nähe zur Natur.
Eine der stärksten Stellen des Buches drückt dies eher indirekt hervorragend
aus.
In Köln, als Grossarth einige Tage bei der Communite de Jerusalem in Groß St.
Martin verbringt und nach zwei Tagen intensiven Erlebens der Klausur das
Wohnhaus der Gemeinschaft verlässt und durch die Altstadt Kölns flaniert.
Seine einfache, präzise und nicht wertende Darstellung seiner Beobachtung des
bunten Menschengewimmels und die spürbare Irritation über dieses hektische,
bunte, laute Gewusel nach nur zwei Tagen "Entrückung" desselben
bringt genau auf den Punkt, wie massiv sich die Welten der
"Aussteiger" von der "normalen" Welt unterscheiden und dass
durchaus von "Aussteigerseite" her einiges ganz zurecht hinterfragt
wird, was das "moderne" Leben an Verhaltensweisen und Moden täglich
für normal hält. Hier kann aus der inneren Haltung der Ordensleute genauso
kritisch die moderne Welt angefragt werden, wie aus der
"Tauschringhaltung" einer Gemeinschaft in der Uckermark her.
Einfache Lebenskonzepte, aber auch exotische Sichtweisen hinter diesen
Lebenswelten finden sich im Buch. Aussteiger, die in ihrer Selbstdarstellung,
die Grossarth im Buch minutiös aufnimmt und wiedergibt, reinweg als
"spinnert" zu titulieren wären (der "Waldmensch im
Westerwald", die "esoterische Gemeinschaft im Piermont"), aber
auch durchaus im Kern unsympathische und überhebliche Arroganz und
Geschäftstüchtigkeit mit Umgangsformen auf Kindergartenniveau (das
"politische Ökodorf Sieben Linden mitsamt seinen hohen Kosten für
"Gäste" und einer "ulkigen Ute", einem "grünen
Gisi" oder dem "dollen Dieter"). Solches wechselt ab mit
entspannten und nicht unbedingt die Welt verbessern wollender Haltungen wie bei
Jörg Remus auf seinem kleinen Hausboot in Köln.
Exotische Lebensformen und in weiten Teilen, tatsächlich "weltfremd"
anmutende persönliche Ausprägungen stellt Jan Grossarth fundiert und selbst
erlebt vor. Zu einfach wäre es (auch das ein Verdienst des Autors), am Ende der
Lektüre jene "Aussteiger" einfach als "nicht lebensfähig in der
realen Welt" zu kennzeichnen. Bei einigen trifft dies durchaus zu, vielfach
aber finden sich Gedanken und Ansätze zu einem anderen Leben, die ganz zurecht
sich weg entschieden haben von dem, was in der modernen Welt als
"normal" gilt. Eine Lektüre, die sich lohnt. Die ein buntes Bild
einer anderen Lebensform wiedergibt und die durchaus zur Reflektion des eigenen,
gewohnten Lebensstils anhält.
Fazit
Ein Buch, das zeigt, dass "Ankommen" eine der schwersten Übungen des
Lebens ist, egal, welche Wege man einschlägt. Denn "Angekommen"
wirken noch lange nicht alle, die Grossarth besucht, aufsucht und deren Weg er
im Buch darstellt.
Vorgeschlagen von Lesefreund
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veröffentlicht am 10. Mai 2011 2011-05-10 15:41:48