In Chucks Familie haben sich schon die Eltern und Großeltern im Straßenverkehr
kennengelernt. Auch Chuck fliegt in der ersten Szene des Buches ein Mädchen
direkt vom Rad in die Arme. Das fliegende Mädchen ist Auslöser dafür, dass
Chuck Anna kennenlernt. Anna wird nicht nur Chucks erste Liebe sein, durch sie
wird ihm klar werden, wie privilegiert sein Leben bisher verlief. Der
Sechzehnjährige wächst mit zwei älteren Schwestern in einer ungewöhnlich
wohlhabenden, liberalen Familie auf. So war es für die Eltern
selbstverständlich, ihren kleinen Neffen Carlos, genannt Chuck, zu adoptieren,
als dessen Eltern damals verunglückten. Die Schwestern Terry und Suzzy liebten
das Baby vom ersten Moment an, als hätten sie es selbst adoptiert. Terry
studiert inzwischen in Paris, Suzzy ist Leadsängerin einer Rockband. Chuck will
seine Familie nicht gleich überfordern, so behauptet er, bei Anna
Mathenachhilfe zu nehmen. Als Chuck erfährt, dass sein Freund Toby nach einem
Unfall im Koma liegt, ist er selbst gerade allein zu Haus. Der Großvater, der
nach dem Tod seiner Frau noch nicht wieder in die Welt zurückgefunden hat,
kommt sofort zu Chuck, um mit ihm über Toby zu sprechen. Die folgenden
schrägen Ereignisse berichtet Chuck nun Toby in regelmäßigen Briefen, die mit
der Zeit vertraulicher werden und sich schließlich um ein Familiengeheimnis
drehen, das Chuck gerade als letztes der drei Kinder erfahren hat.
Ein Großvater als Prominentenzahnarzt, eine amerikanische Mutter, die bewusst
nie ihren Akzent ablegt, eine Schwester, die in Paris studiert - Chucks Familie
stellt sich als außergewöhnliches Team dar. Die Ellermanns sind zivilisiert,
schlagfertig, erziehen ihre Kinder "indirekt" und sind in Krisen immer
füreinander da. Musik spielt im Buch eine wichtige Rolle, entscheidende
Passagen werden mit für Sechzehnjährige eher ungewöhnlichen Texten unterlegt.
Chuck ist eben unübersehbarer das Küken in seiner Familie. Kaum einen Leser
wird Chucks inniges Verhältnis zu seinem Großvater in seiner sonst stark von
Frauen geprägten Welt unberührt lassen.
Fazit
Auch wenn ich die Ansammlung an prominenten Personen einerseits und Problemen
andererseits (Atomkraft, Nationalsozialismus, Gewalt in der Öffentlichkeit,
Tobys Unfall, Lebensüberdruss des Großvaters) reichlich überladen finde, hat
mich Günter Ohnemus mit dem Wortwitz seiner Familie Ellermann ausgezeichnet
unterhalten. Am gelungensten in Ohnemus Jugendroman, der zugleich Briefroman
ist, fand ich die Schilderung der vom Vater übernommener Samariter-Rolle
Chucks, von der er sich erst befreien muss, um seine Probleme und Kümmernisse
in den Griff zu bekommen.
Vorgeschlagen von Helga Buss
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veröffentlicht am 28. April 2011 2011-04-28 09:32:32