Colson Whitehead - Der letzte Sommer auf Long Island
Schwarze Jugend in den 80ern
Long Island ist für den New Yorker der ultimative Ort der schnellen Entspannung
und Sommerfrische vor den Toren der Stadt. Damals, in den 80ern, sauber
getrennt natürlich in den Bereich Long Islands für die vermögenderen weißen
Besucher und in jenen Bereich der schwarzen Bevölkerung.
Azurest Beach ist jener Ort, an dem der schwarze Jugendliche Benji mit seiner
Familie und einer Vielzahl seiner Freunde, wie seit Jahren bereits, Ferien
verbringt. Wobei Benji ebenso ein Kind der Mittelschicht ist, wie so gut wie
alle anderen auch, die sich entspannende Tage auf Long Island zu leisten
vermögen.
Leibhaftig auferstehen lässt Whitehead die versunkenen 80er Jahre und hier
genauer die Jugendkultur jener Zeit. In dahin fließenden Geschichten und
Ereignissen fängt Whitehead den Geist dieser Zeit hervorragend auf. Einer Zeit,
die im Äußeren durchaus eher noch sorglos vonstatten ging. Pleiten, Krisen,
Untergang des Abendlandes, alles noch weit entfernt, der Glaube an das
wirtschaftliche Wohlergehen noch tief verwurzelt und weit verbreitet, auch bei
der gesetzten schwarzen Mittelschicht des Landes.
Raum genug also, dass die wirklich wichtigen Fragen des Lebens vor Augen
gerückt werden können. Welche Sneakers man als Teenager wirklich haben muss
und wie diese zu pflegen sind. Wie man sich begrüßt, um zu zeigen, dass man
Teil der Gruppe ist ("Er streckte Bobby die Hand entgegen und ich wurde
Zeuge einer nur verschwommen wahrnehmbaren Choreographie").
Wie das ist mit der ersten Ahnung von Liebe, wenn man gerade erst an der
Schwelle steht, zu den coolen Jungs irgendwann dazuzugehören. Wer hat die
schärfsten Klamotten? Wer die neueste, angesagte Musik?
Wunderbar entspannt schreibt Whitehead und ihm gelingt, über das konkrete Flair
der Zeit und über die konkrete Lebenswirklichkeit schwarzer Jugendlicher der
80er Jahre (Hip Hop und Rap kommen gerade groß in Mode) eine Ahnung von dem zu
vermitteln, was zu allen Zeiten die Blütephase der Jugend in sich trug. Momente
der Selbstfindung, der inneren Weichheit, die noch keine harte Schale sich
angewöhnen konnte, Romantik in der Eisdiele, die fast die Welt bedeutet,
Herzklopfen beim Anblick eines weiblichen Busens, Tagträume und Abhängen mit
den Jungs. In malerischer, sommerlicher Kulisse. Auch das natürlich, die
Abenteuerlust, die aus Kindertagen noch drinsteckt, die ersten Erprobungen,
"gefährlich" zu sein, souverän, lässig. Bobby, der eine Waffe
erstanden hat. Vorbote einer gewalttätigen Zeit, denen einige der Figuren noch
verfallen werden, in späteren Jahren. Auch Gangs entstanden zu Beginn der 80er
Jahre, Gangs, die eher linkisch kopiert werden, ein Slang, den man sich eher
noch befremdlich angewöhnt und auf der Zunge zergehen lässt. Vorgriffe auf die
Zukunft, denen Benji eher interesselos gegenübersteht. Die Waffe löst nichts
aus bei ihm, warum auch?
Wie das Alter der Protagonisten selbst eines zwischen Unschuld und Verantwortung
ist, so sind auch die "schwarzen" 80er Jahre von Whitehead in diesem
Impetus hervorragend getroffen. Am Vorabend stärker werdender, sozialer
Missstände. Jahre, in denen sich entwickelte, was bis heute gerade im Amerika
der Großstädte das Straßenbild ganzer Stadtviertel dominiert und als
Gangwesen gefährliche Verbreitung gefunden hat.
Noch aber ist es wichtiger, wer sturmfreie Bude hat, bei wem es sich gut
abhängen lässt und mit wem zusammen man eine Ahnung vom wilden und erwachsenen
Leben entwickeln und erfahren kann.
Fazit
Unbeschwerte Tage, an deren Horizont das erwachsene Leben aufscheint und weitaus
gefährlichere Entwicklungen der schwarzen Jugend sich ankündigen. Tage, deren
Flair von Colson Whitehead wunderbar eingefangen wurde. Eine lesenswerte Reise
in die Vergangenheit.
Vorgeschlagen von Lesefreund
[Profil]
veröffentlicht am 27. April 2011 2011-04-27 15:09:13