Sebastian Haffners "Preußen ohne Legende" ist eine hervorragende
Einführung in die preußische Geschichte - nicht so wissenschaftlich gehalten
wie das Standardwerk von Hans-Joachim Schoeps "Preußen" - aber auch
mehr als eine reine Bilanzierung des Phänomens "Preußen", wie sie
Christian Graf von Krockow in
seinem - hervorragenden - Preußen-Buch (Preußen - eine Bilanz) oder
Marion Gräfin Dönhoff in ihrem
kürzeren - ebenfalls sehr empfehlenswerten Werk "Preußen: Maß und
Maßlosigkeit" vorgelegt haben.
Haffner entwirft fesselnd einen großartigen Überblick über die 170-jährige
Geschichte Preußens, welches als Großmacht erst seit 1701 bestand und erst
unter Friedrich Wilhelm I. (1713-1740) und seinem Sohn und Nachfolger Friedrich
dem Großen (1740-1786) zu einer Großmacht heranwuchs. Insbesondere seine
religiöse Toleranz und seine hervorragende Verwaltung machen es im 18.
Jahrhundert zum modernsten Staat Europas. Mit der Reichsgründung von 1871
beginnt nach Haffner das "lange Sterben" Preußens und nicht umsonst
hat Wilhelm I., seit 1861 preußischer König, in der Reichsgründung das Ende
Preußens erblickt, wenn der Staat auch erst mit dem Preußenschlag Papens 1932
und endgültig erst mit seiner Auflösung durch die Besatzungsmächte 1947 als
Staat zu existieren aufhörte. Haffner zeigt eindeutig, wie unpreußisch Hitler
und sein Regime war, welches zunächst durch den "Tag von Potsdam"
eine Legitimation zu erlangen suchte, die mit seinen wahren Absichten nichts zu
tun hatte. Der Rechtsstaat, der Preußen gewesen ist, wurde als erstes von
Hitler abgeschafft. Auch die Attentäter des 20. Juli 1944 - das Attentat
ereignete sich exakt 12 Jahre nach Papens Preußen-Schlag und der Entfernung der
letzten demokratischen Regierung unter Otto Braun (SPD) - wollten - so Haffner -
nicht Preußen, sondern Deutschland retten (S. 499). "Es wäre übertrieben
zu sagen, daß niemand dem toten Preußen nachtrauert. Die Trauer der
Vertriebenen um verlorene Heimat darf man freilich nicht mit Trauer um den
preußischen Staat verwechseln - im gegenteil, es ist bemerkenswert (und
bewunderswert), wie leicht und klaglos sie sich in ihre neuen
staatsbürgerlichen Verhältnisse gefunden haben. Es gab (und gibt) aber gewiß
in Deutschland nach 1945 noch viele Ex-Preußen - nicht nur Heimatvertriebene -,
die manches für ihre einstigen Staat Charakteristische schmerzlich vermißten:
in der Bundesrepublik die strenge preußische Ordnung und Redlichkeit, in der
früheren DDR die trockene preußische Liberalität und Gedankenfreiheit. Nur:
"Niemand kann sich auch mit dem größten Aufgebot an Phantasie eine Lage
vorstellen, in der Preußen wieder zum Leben erstehen könnte, und niemand kann
daher eine Wiedergeburt Preußens ernstlich wünschen, wie viele sich eine
Wiedervereinigung Deutschlands gewünscht haben.Die Wiedervereinigugn war
vorstellbar, wenn sie auch zeitweise unerreichbar shien, die Wiedergeburt
Preußens ist es nicht. Preußen ist tot, und Totes kann nicht ins Leben
zurückgerufen werden." (S. 22)
Haffner hat damit sicherlich recht, wie auch die Debatte über das Neuentstehen
eines preußischen Bundesstaates anläßlich des Vorschlages des
brandenburgischen Sozialministers, das künftige Berlin-Brandenburg in Preußen
umzubenennen, in der Frankfurter Allgemeinen Zeitung im Jahre 2002 gezeigt hat.
Hans-Ulrich Wehler hat in einem bemerkenswerten Aufsatz vom 23.02.2002:
"Preußen vergiftet uns: Ein Glück, daß es vorbei ist" die Thesen
Haffners aus dem Jahre 1979 - der Erstauflage des vorliegenden Buches -
wiederholt und begründet. Nichtsdestotrotz gehört Preußen zur deutschen
Geschichte - und diese sollte man kennen. Dazu beigetragen zu haben, dazu hat
Haffner mit seiner streitbaren, pointierten und überblicksartigen plastischen
Darstellung beigetragen.
Fazit
Ich halte das vorliegende Buch neben seinen "
Anmerkungen zu Hitler" für sein
bestes Buch. Als Ergänzung zu seiner Lektüre empfehle ich die oben genannten
Werke von Marion Gräfin Dönhoff, Christian Graf von Krockow und Hans-Joachim
Schoeps sowie Haffners - zusammen mit Wolfgang Venohr - herausgegebenes Buch
"Preußische Profile".
Vorgeschlagen von Bernhard Nowak
[Profil]
veröffentlicht am 19. August 2003 2003-08-19 20:44:01