Von Liebe, Hass und Gewalt
"Am Ende wünscht John Burnside seinem Vater nur noch dem Tod".
Dieser Satz prangt auf der Rückseite des Buches und gibt in bester Weise
bereits die Richtung des gesamten Romans vor. Die Geschichte einer Familie,
eines Vater - Sohn Verhältnisses, dass, so ebenfalls der Klappentext, mit
"alttestamentarischer Wucht" in die tiefen menschlichen Empfindens und
menschlichen Existenz, in die Tiefen der festesten Bande hineinreicht, die
Menschen kennen. Hinein in die Bindung an den Vater, dem sich jedes Kind, vor
allem jeder Sohn, voll innerer Hoffnung zuwendet. Und die er nie im Leben wird
wirklich abschütteln könnten, auch dass ist die schonungslose Essenz dieser
Lebensgeschichte.
"Ein Mann handelt, ein Mann benutzt, ein Mann zerstört, ein Mann
beherrscht".
Das sind die Werte, die John Burnsides Vater lebt, in sich trägt, vertritt.
Sanftmut, Liebe und Feinsinnigkeit kommen in diesem Wertekanon nicht vor.
Alkohol, Härte, Egozentrik, Lüge und Betrug, das ist, wie sich im Leben der
Familie diese innere Haltung des Vaters ganz praktisch darstellt, die den Sohn
angewidert, ohne Mitleid und voller Hass zurücklässt. Gefühle, die er
wohlweislich dem Vater gegenüber nicht zeigt, doch die sich im Leben irgendwann
einmal mit Wucht Bahn brechen werden. Gefühle gegenüber einem Vater, der
ebenso als Kind bereits nicht gewollt war, der als Säugling vor einer fremden
Tür abgelegt wurde und Zeit seines Lebens nach Anerkennung giert.
Den auch ein schwerer Unfall und die darauf folgende Anteilnahme der anderen
innerlich nicht weicher macht. Da ist einer, der einfach am "Rande der
Dunkelheit steht und sich unbeobachtet glaubt". Am Rande einer inneren,
menschlichen Dunkelheit.
Schonungslos erzählt John Burnside bildhaft, schmerzhaft die tiefsten Abgründe
der Gefühle und der Gewalt, auch gegen sich selbst (Burnside hat lange Zeit mit
eigenen Suchtproblemen zu kämpfen gehabt), offenlegend und mit erzählerischer
Wucht.
Es gibt für den aufwachsenden John kein Entrinnen. Er ist es, der an der Bürde
scheitern muss, an der er zum Teil innerlich zerbricht. Eine Mutter, die kein
Gegengewicht zu bilden vermag, eine Schwester, die vom Vater kaum wahrgenommen
wird und eben er, der früh lernt, seine wirklichen Gefühle tunlichst zu
verbergen, denn Rücksicht kennt der Vater nicht, wenn ihm etwas gegen den
Strich geht. Wie spürbar schmerzlich, als Leser mit zu erleben, wie zu diesem
Verbergen auch die Gefühle der Liebe gehören, die so gar keinen Widerhall
finden, die das Kind so unglaublich mit sich allein lassen.
Sogar ohne großen Anlass agiert dieser Vater, lässt Burnside auf jeder Seite
den Leser daran teilhaben, wie ein unberechenbarer Vater vor allem eines
verfolgt, sein bisschen kümmerliche Dominanz an denen auszulassen, wo eine
Gegenwehr nicht möglich ist.
Ohmacht ist es, völlige Ohnmacht, die das innere Erleben des John Burnside
prägte zu jenen Zeiten. Eine Ohnmacht, die Burnside in solcher Klarheit zu
schildern versteht, dass man das Buch einfach nicht aus der Hand legen kann
angesichts dieser Darstellung menschlicher Abgründe. Angesichts dessen, wie
hier ein Sohn konsequent durchgedemütigt wird.
Dass einen der eigene Vater niedermacht, dass tatsächlich hier einer Vater ist,
der andere nicht annehmen, nicht wahrnehmen kann, der nur um sich selber kreist
und seinen kranken Despotismus in den eigenen vier Wänden lebte, weil er
nirgends sonst auch nur den Hauch einer Möglichkeit dafür finden würde, dass
ist in der geschilderten Offenheit schwer zu verkraften und wird durch die
literarische Qualität des Buches nicht etwa abgemildert, sondern in großer
Klarheit unter den hellen Scheinwerfer präziser Ausdrucksweise gerückt.
Es gehört Mut dazu, diese autobiographische Geschichte zu schreiben und auch
sich selbst in seiner eigenen Schwachheit und Problematik vor den Augen der Welt
offen zu legen und es gehört ein tiefes, schriftstellerisches Talent dazu,
diese Lebensgeschichte in genau dieser radikalen und wahren Sprache schreiben zu
können, die dem Leser Satz für Satz im Innersten mitnimmt und in das eigene
Leben eindringt.
Fazit
Ein Buch von tatsächlich alttestamentarischer Wucht, was die Tiefe menschlicher
Abgründe, das Gefühl der Gottverlassenheit und die nagende, zerstörerische
Kraft der Ablehnung und Einsamkeit angeht. Aber auch die kleine Flamme
hoffnungsvollen Lichtes im tiefsten Dunklen am Rande mit leuchten lässt. So
zumindest das ein oder andere innere Versöhnen, dass John Burnside gelingt,
nachdem er selber Vater wurde.
Gut so, dass John Burnside diesen Mut zu diesem Buch gefunden hat.
Vorgeschlagen von Lesefreund
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veröffentlicht am 30. März 2011 2011-03-30 14:11:45