In diesem Jahr jährt sich ein Jubiläum, das in Deutschland wohl eher wenige
Menschen zur Kenntnis nehmen werden, das aber dennoch bedeutend ist: das 1500.
Todesjahr des fränkischen Königs Chlodwig I., dem Gründer des Frankenreichs,
deren späterer König und Kaiser Karl der Große heute oft zum "Vater
Europas" stilisiert wird. Doch waren die politischen Erfolge der
Karolinger, die seit 751 die fränkischen Könige stellten, nicht möglich ohne
die Leistungen des vorherigen Königshauses der Merowinger. Deren Anfänge und
die Geschichte ihres wohl bedeutendsten Königs Chlodwig werden in dem
vorliegenden Buch geschildert.
Der Autor, Matthias Becher, ist ein ausgewiesener Kenner der karolingischen
Geschichte, der vor kurzem auch einen knappen vergleichenden Überblick zu den
Merowingern und Karolingern vorgelegt hat. Sein neuestes Werk wird vom Verlag
zwar als Biographie bezeichnet, doch ist dies nicht ganz zutreffend. Das in
neuerer Zeit wieder sehr beliebte Genre der Biographie stößt bei der
überwiegenden Mehrzahl antiker und mittelalterlicher Persönlichkeiten
zwangsläufig an seine Grenzen, da die verfügbaren Quellen oft eher spärlich
fließen, meistens inhaltlich bereits in einer bestimmten Weise vorgeprägt sind
und individuelle Charakterzüge nur selten verraten. Im Fall Chlodwigs ist dies
besonders dramatisch, da die mit Abstand wichtigste Quelle zu seiner
Regierungszeit, die "Zehn Bücher Geschichten" des gallo-römischen
Bischofs Gregor von Tours, über ein halbes Jahrhundert nach dem Tod Chlodwigs
entstanden ist. Gregor, dessen Werk oft wichtiges Material enthält und das auch
lebendig geschrieben ist, verfügte für die Zeit Chlodwigs nur über
bruchstückhafte Informationen. Dennoch basiert das heutige Chlodwigbild
weitgehend auf Gregor, ergänzt um wenige weitere Aussagen.
Dieser Problematik ist sich auch Becher absolut bewusst, er spricht dies
explizit in der Einleitung an. Bechers Lösung einer eher thematischen
Schilderung mag manchem Leser nicht gefallen, ist aber vermutlich der einzig
gangbare Weg, zwar keine Lebensbeschreibung, aber doch eine Geschichte Chlodwigs
und seiner Zeit zu verfassen. Bechers Werk, in dem dankenswerterweise zahlreiche
übersetzte Quellenzitate eingeflochten sind, ist in acht Kapitel eingeteilt. Im
ersten Kapitel greift er weit zurück und beschreibt die fränkische
Ethnogenese, das Werden des Volkes, das ab dem 3. Jahrhundert als
"Franken" in den Quellen auftaucht. Im zweiten und dritten Kapitel
schildert Becher den Zusammenbruch der römischen Herrschaftsordnung in Gallien
sowie das Auftauchen der "salischen" Franken unter den
Merowingerkönigen, deren Anfänge sagenhaft verklärt sind. Besonders
interessant ist die Darstellung der Ereignisse um Chlodwigs Vater Childerich,
der eine eigenständige Herrschaft in Nordgallien errichtete. All dies ist
durchaus lobenswert und sinnvoll, da heute kaum jedem Leser die historischen
Rahmenbedingungen dieser Zeit geläufig sein werden.
Ab dem vierten Kapitel wendet sich Becher dann Chlodwig zu: Von seinen Anfängen
mit dem Sieg über den Gallo-Römer Syagrius (486/87) und seinen Siegen über
die anderen fränkischen Kleinkönige, über die in der Forschung häufig
diskutierte Taufe Chlodwigs, der mit seinem Übertritt zum katholischen
Christentum sehr viel zur Integration der Franken im romanischen Gallien
beitrug, bis zu Chlodwigs "Außenpolitik". Dazu kommen in Kapitel 7
Erörterungen zur Herrschaftsorganisation, in Kapitel 8 erfolgt schließlich
eine knappe Darstellung des Nachlebens Chlodwigs. Abgeschlossen wird der Band
von einem knappen Anmerkungsapparat, Stammtafeln sowie einer guten Bibliographie
(von kleineren Versehen abgesehen - Woods Merowingerdarstellung erschien 1994,
nicht 1993).
Bechers Chlodwigbild ist recht differenziert. Er trägt dessen politischer
Leistung Rechnung, der einen zuvor zersplitterten Stamm zur führenden Macht in
Gallien führte und so zu einem "Stammvater" des späteren Europa
wurde. Auf diesem Fundament bauten die nachfolgenden Merowinger auf, deren Reich
sich schließlich von der heutigen spanischen und italienischen Grenze bis weit
in das heutige westliche und südliche Deutschland erstreckte. Becher
verschweigt aber auch nicht den kalkulierenden Machtpolitiker, der Chlodwig nun
einmal war - und damals sein musste, um bestehen zu können.
Fazit
Bechers Werk bietet einen guten Überblick zur Frühgeschichte der Franken und
der ersten Phase des Merowingerreichs. Das Buch ist auch für den Laien gut
lesbar, aber dennoch faktenreich. Die eingestreuten Quellenzitate bereichern die
Darstellung, in der Becher auch teilweise auf Forschungsprobleme eingeht,
wenngleich freilich nur in Auswahl. Über manche Gewichtung ließe sich
streiten, aber das Buch soll schließlich kein Forschungsbericht sein. Es sei
allen historisch interessierten Lesern, besonders zur Geschichte des werdenden
Europas im frühen Mittelalter, daher auch empfohlen.
Vorgeschlagen von B. Kiemerer
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veröffentlicht am 30. März 2011 2011-03-30 13:12:30