Eine Reise durch den Mythos zum Nordpol
"Ich wollte eine Geschichte schreiben, die sich dem Leser entzieht, wollte
ihn über den weiteren Verlauf im Unklaren lassen".
So sagt es Jan Wallentin in einem Interview zum Buch und genauso ist ihm dieses
fulminante Debüt gelungen. Ein Buch, dass sich nicht nur immer wieder dem Leser
entzieht, sondern dass auch virtuos mit verschiedenen Genres spielt und Grenzen
variabel zu setzen vermag.
Ein Anch-Kreuz, geformt wie eine Hieroglyphe und ein fünf-strahliger Seba
Stern, dies entdeckte Sven Hedin vor Zeiten in Dandak Oilik, der versunkenen
Stadt. Zwei mythische Symbole aus unbekanntem Material, die, der Legende nach,
den Eingang zur Unterwelt kennzeichnen. Beide Symbole sind verschwunden, nachdem
Niels Strindberg, sie für eine Weile besaß und den Ort fand, auf den die
Symbole hinweisen.
Diesen Hintergrund erfährt der Leser allerdings erst später im Buch.
Zum Einstieg wird zunächst durch einen Taucher in einem alten, gefluteten
Bergwerksstollen eine bestens erhaltene Leiche und das Kreuz gefunden. Eine
Leiche, die seit Jahrzehnten dort verharrt und durch einen chemischen Vorgang im
Wasser bestens erhalten blieb. Die Leiche eines Selbstmörders.
Was also wie ein Krimi beginnt, verlässt umgehend wieder die Pfade eines Mordes
(folgerichtig spielen auch die zunächst ermittelnden Polizisten keine weitere
Rolle mehr im Buch) und entfaltet sich zu einem umfassenden Roman mit
ungewohnten und ebenso wenig einfach einzuordnenden Figuren.
Der Taucher, der das Kreuz fand, ein haltloser, nach Aufmerksamkeit ringender
Mensch, bringt die eigentliche Hauptfigur des Buches mit ins Spiel.
Don Titelmann. Jude. Aufgewachsen an der Seite einer Großmutter, die eine
verzehrende Faszination für mythische Symbole der Nazis entwickelte, die auch
den jungen Don damals beeinflusste und die er zu seinem eigenen Forschungsgebiet
als Psychologe machte. Soweit er noch in der Lage ist, zu forschen, heißt das,
denn sein wichtigstes Utensil ist eine kleine, braune Tasche voller
verschreibungspflichtiger Medikamente.
So, wie Don Titelmann in Teilen fast betäubt durch seine Medikamente durch die
Geschichte geht und sich damit seiner Umwelt, dem Umfeld, den Geschehnissen
entzieht, so ist dies ein treffendes Bild für diese vielfach gewundene, immer
Aufmerksamkeit erfordernde und dabei in den Bann ziehende Geschichte insgesamt.
Kaum hat man den Eindruck, nun zu wissen, dass es um eine großangelegte
Verschwörung neuer Nazis geht, wird sinnigerweise auf Himmlers Wewelsburg
deutlich, dass zwar durchaus eine geheime Gruppe einen wichtigen Part in der
Geschichte um Kreuz und Stern spielt, deren Wurzeln beileibe aber weiter (und
anders) zurückreichen als das dritte Reich. Das Sonnenrad der Wewelsburg weist
in eine ganz andere Richtung, als man gemeinhin denkt.
So entsteht, für Don Titelmann ungewollt, eine klassische Queste, die Seite
für Seite mehr zum jenem mythischen Ort in der Nähe des Nordpols drängt, den
Niels Strindberg per Heißluftballon zu Zeiten entdeckt hatte. Eine Suche, bei
der Don Titelmann von seiner Schwester, dem Hackergenie, lebend unter einer
alten U-Bahnstation und von Eva, seiner Anwältin, unterstützt und begleitet
wird. Eine Suche mit überraschenden Funden, als man am Ziel anlangt.
Außergewöhnlich gezeichnete Figuren, eine sich immer wieder neu orientierende
Geschichte, die dabei nie im Vagen verbleibt und doch ein ums andere Mal die
Fantasie in falsche Richtungen lockt und daher beständig zu überraschen
vermag.
Fazit
Eine Reihe nur angedeuteter Erklärungen oder auch bildlichen Beschreibungen,
die Raum für breite Assoziationen und die Fantasie des Lesers lässt, ergeben
tatsächlich über lange Strecken eine sich entziehende Geschichte voller Magie,
Okkultismus und Mystik, die den Leser beständig in ihrem Verlauf in den Bann zu
ziehen vermag.
Auch sprachlich hat Jan Wallentin zudem seine Geschichte hervorragend umgesetzt,
so dass hier ein pures und intelligentes Lesevergnügen im Raume steht, dem man
die ein oder andere Länge durch monologische Erläuterungen gerne verzeiht.
Vorgeschlagen von Lesefreund
[Profil]
veröffentlicht am 23. März 2011 2011-03-23 13:15:32