Law and Order in Europa
"Auch die sogenannten Guten sind gegen das Böse nicht immun. Es lauer in
ihnen. Bricht jedoch nie aus. Hoffentlich".
Dieses Zitat aus der Einleitung des Buches zeigt, in Verbindung mit der
Eingrenzung des Themas, welchem Duktus Michael Jürgs in seinem neuen Buch
folgt. Nicht das moralische oder ethische Verwerfliche ist Ziel der
Ermittlungsarbeit länderweiter und teils grenzüberschreitender
Ermittlungsarbeit, sondern die Taten sind es. Da, wo aus inneren Haltungen
gesetzesbrechende Taten entstehen, dort setzt die Arbeit der
kriminalpolizeilichen Dienste an und versucht, die Täter einer
systementsprechend gerechten Strafe zuzuführen.
Michael Jürgs, ehemaliger Chefredakteur des Stern und an sich bisher eher dem
linken politischen Spektrum zuzuordnen, hat sich der rechtbewahrenden Seite des
gesellschaftlichen Lebens zugewandt. Sorgfältig recherchiert führt er auf gut
340 Seiten die moderne Arbeit der Kriminalpolizei vor. Interessanterweise wird
schon in der Einleitung deutlich, dass dieser Blick auf die Arbeit der Ermittler
Jürgs selber nicht unbeeindruckt und unverändert gelassen hat. Verständlich
sicherlich, dass im Zuge seiner Recherchen für ihn immer deutlicher wurde, dass
viele der Opfer jener Straftaten "fürs Leben gezeichnet sind". Jürgs
verlässt so durchaus hier und da den Status des reinen Beobachters, auch
zwischen den Zeilen wird seine zunehmende Hochachtung (zwar verständlich,
dennoch aber ein Manko für eine kritische Reportage, das sich ab und bemerkbar
macht, wo die Distanz des Journalisten nicht mehr vorhanden zu sein scheint) vor
der verwickelten Ermittlungsarbeit und der Motivation der Beamten deutlich.
Eine Arbeit, die sich mittlerweile deutlich von althergebrachten Vorstellungen
aus Romanen, Thrillern und Fernsehserien unterscheidet. Digital ist sie
geworden, die Verbrecherwelt, jeden Winkel des Web nutzend und digital sind
daher ebenso die Verfolgungsmethoden zur Aufdeckung von Straftaten geworden.
Beileibe aber nicht nur trockene Erläuterungen zu Dienststunden vor den
Rechnern der Dienststellen sind es, die Jürgs dem Leser nahebringt.
Vielfältige kriminelle Methoden, Fallbeispiele, Berichte von der "Jagd auf
das Böse" fließen in das Buch ein und ergeben so ein erschreckend
offenkundiges Bild von einer sich deutlich stärker (und geschickter)
kriminalisierenden Gesellschaft mit vielfältigen technischen Möglichkeiten.
Den Kernbereich des Buches bilden die deutschen Dienste, BKA und Landespolizei,
zurecht ist das BKA im Titel auch groß gedruckt.
Seine Stärken hat das Buch vor allem in der ganz praktischen Veranschaulichung
der Arbeit der Ermittler und der Methoden der Kriminellen. Das Kapitel über
verdeckte Ermittler, Untersuchungen gegen Rockerbanden und Menschenschmuggler
macht dezidiert auf die Kleinteiligkeit der Ermittlungsarbeit und die realen
Gefahren für die Ermittler aufmerksam, ebenso treffend wendet sich Jürgs der
digitalen Welt in seiner präzisen und lebendiger Sprache zu.
So verbleibt am Ende ein hochinteressanter Einblick in die moderne Welt der sich
ausbauenden Kriminalität von allen Seiten her, ein "bekehrter"
Journalist, der seine vorhergehenden Vorurteile gegen eine zu breite gesetzliche
Ausweitung der Polizeirechte aufgegeben hat und ein Zeugnis für den Leser, dass
in Bezug auf Kinderpornographie, Wirtschaftskriminalität und jedweder anderen
Form skrupelloser Verbrechen eine Polizei notwendig ist, die alle Möglichkeiten
zur Verfügung hat.
Fazit
Mitsamt einer Prüfung übrigens auch von allzu milden Gerichtsurteilen gerade
im Bereich der Kinderpornographie. Dieser Passus zeigt hochgradig die
erstaunliche Wendung des Journalisten Michael Jürgs, die aus dem Buch heraus
aber allzu verständlich wird. Es ist zudem durchaus der Ehren wert, wenn ein
Journalist bereit ist, sich eines anderen belehren zu lassen als seiner
vorhergehenden Annahmen. Auch wenn diese Sinnesänderung natürlich in der
Bewertung eine persönliche Geschmacksfrage des jeweiligen Lesers sein wird. Sie
verdeutlicht aber vor allem, dass Jürgs nicht von vorneherein mit feststehenden
Ergebnissen an seine Recherchen gegangen ist und er somit das, was er gesehen
hat, durchaus aktuell zu reflektieren verstand. Empfehlenswert.
Vorgeschlagen von Lesefreund
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veröffentlicht am 18. März 2011 2011-03-18 13:34:03