Wege aus dem Schatten heraus
Helmut Kohl ist noch in guter Erinnerung, nicht nur als Kanzler der Einheit,
sondern auch als einer, der über 16 Jahre als Kanzler der Bundesrepublik sich
vor allem anderen auch ein gewiefter, in Teilen rücksichtsloser Machtpolitiker
erwiesen hat, mit dem als Gegner nicht gut Kirschen essen war. Einer mit einem
intuitiven Gespür, sich darzustellen und andere in den Schatten zu stellen.
Davon können eine ganze Reihe ehemals prominenter und in Machtpositionen sich
befindender Politiker gerade der CDU ein lautes Lied singen.
Eine starke, auf sich bezogene, machtorientierte und machtbewusste Person. Ein
Bild des Altkanzlers, das sich beim Lesen der Autobiographie seines Sohnes
durchaus verdichtet. Auch ein Übervater, einer, der eine breite Schneise schlug
und dabei, nicht allein ob der Körperfülle, auch viel Schatten um sich herum
verbreitete.
Eie sehr persönliche Ebene ist es, auf der Walter Kohl seine Geschichte
erzählt und, das vor allem, keine verbitterte oder dem Vater lebenslang
nachtragende Haltung offenbart er in seinen Zeilen. Ganz im Gegenteil, der
Untertitel weist in seiner Formulierung "Schritte der Versöhnung" die
eigentliche Richtung seiner Gedanken und auch die Art und Weise seiner
Beschreibungen sprechen eine Sprache der feinfühligen Zurückhaltung, ohne das
Wesentliche außen vor zu lassen. Nicht dem Vater macht der Sohn hier ellenlange
Vorwürfe, sondern den eigenen Weg zunächst hinter dem überstarken Helmut Kohl
beleuchtet Walter Kohl und legt sensible, persönlich und zeitweise anrührend
seine Einsichten und Erkenntnisse offen, die es brauchte, um den ganz eigenen
Weg zu finden. Schritte zur Versöhnung auch mit sich selbst. Vor allem.
Ein eigener Weg, der sich eben nicht entweder unkritisch aus den Fußstapfen des
Vaters ergibt und eben auch nicht in prinzipieller Ablehnung allein im Trotz
verharrt. Es gibt genügend andere Beispiele der Gegenwart, vielleicht ist ein
Blick auf den Strauß Sohn hilfreich, die zeigen, wie leicht es ist, an der
Figur eines mächtigen und durchsetzungsfähigen Vaters und Politikers zu
scheitern. Auf diesem eigenem Weg aber spricht Walter Kohl durchaus offen über
sein persönlich lange Zeit nicht einfaches Verhältnis zu Helmut Kohl, auch den
vollzogenen Bruch verschweigt er nicht.
Nach der Lektüre dieses Buches weiß man auf jeden Fall, wunderbar erzählt,
was es heißt, im Schatten eines Vaters auch in den Augen der anderen fast zu
verschwinden. Der Weg einer Selbstwerdung, der nicht zuletzt 2001 durch den
Freitod seiner Mutter noch einmal und intensiv angestoßen wurde.
Schon die ersten Zeilen und Seiten offenbaren in der Beschreibung dieses Schocks
für Walter Kohl seine außerordentliche sprachliche Fähigkeit, die
Empfindungen und Gedanken seines inneren präzise und einfühlsam, mit klaren
Worten und dennoch sensibel formuliert, nahe zu bringen. Eine auch sprachliche
Qualität, die Kohl im ganzen Buch durchhält und die das Lesen zu einem
Erlebnis gestalten. Und ein mitnehmendes Zeugnis, wenn Walter Kohl sich
grundlegend und zutiefst alleine fühlt angesichts des Todes der Mutter. Kaum
vorhandene, innere Bande zu einem Vater, den Walter Kohl im alltäglichen Leben
als "entrückt" beschreibt. Einem Leben, in dem alle praktischen Dinge
des Alltages bis zum TÜV des Autos von Hannelore Kohl gemanagt wurden, wie es
der Altkanzler eben gewohnt war. Einer, der bei Umbaumaßnahen im Haus einfach
für eine Weile auszog und seiner Frau überließ, die Dinge zu regeln, damit er
in seiner Arbeit nicht gestört wurde. Bei weitem nicht die einzige
Funktionalisierung seiner Familie, die Helmut Kohl öffentlichkeitswirksam
betrieb.
Fazit
Walter Kohl legt einen offen Blick auf sein inneres Erleben vor und beschreibt
einerseits eine "Reise zu sich selbst" und andererseits vielfache
Ursachen, Hintergründe und Schwierigkeiten eines Umganges auch mit der
privaten Persönlichkeit seines Vaters, die als Ursachen dafür einleuchtend im
Raume stehen, dass ein solcher "Weg zu sich selbst" in dieser Form
überhaupt nötig wurde.
Einfühlsam, sensibel und ohne Verbitterung geschrieben ist dieses Buch ein
eindrucksvolles, anrührendes und innerlich mitnehmendes Zeugnis eines Lebens,
dass erfolgreich zu sich selber gefunden hat und eine Darstellung eines Stücks
auch deutscher Zeitgeschichte durch die Augen der Altkanzlerfamilie.
Vorgeschlagen von Lesefreund
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veröffentlicht am 15. März 2011 2011-03-15 15:24:04