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Paul Natorp: Der Deutsche und sein Staat. Herausgegeben von Detlef Weigt

Der Deutsche und sein Staat. Herausgegeben von Detlef Weigt

von Paul Natorp
Verlag: Superbia Verlag [mehr Bücher von diesem Verlag zeigen]
Sparte: Philosophie
ISBN-13 978-3-937554-30-3

Preis: aktuell keine Daten vorhanden
Die Politische Ideengeschichte ist das Archiv der Politikwissenschaft. Alte Theorien werden mit neuen Ingredienzen angereichert. Sie bildet das Zentrum der Wissenschaft und muss die Forschungskomponenten immer wieder zusammenfügen und theoretisch-integrativ vereinen. Was ist eine gute Ordnung? Was sind die Aufgaben des Gemeinwesens? Ist diese oder jene Vorstellung real verwirklicht? Relevant ist stets das Spannungsfeld von Gewalt und Sittlichkeit - kratos und ethos. Die politische Verzweiflung Machiavellis äußerte sich in der Abwehr der Resignation durch trotzige Machtpolitik. Die vorliegende Schrift Paul Natorps entstand in den Wirren der Nachkriegszeit in der Weimarer Republik und enthält schwerwiegende Gedanken zu Staat und Nation.

Ruhige Zeiten werden also immer eine Präferenz für archivarische Ideengeschichtsschreibung nahe legen, bewegte Zeiten wie diejenige Natorps werden die Entscheidung für starke eigene Fragestellungen begünstigen. Als Paul Natorp 1924 starb, war der Marburger Neukantianismus, dessen Hauptvertreter er in der zweiten Hälfte des deutschen Kaiserreiches war, im Niedergang begriffen. Der neukantianische Zugriff auf die Pädagogik und insbesondere die neukantianische Fassung der Sozialpädagogik machten es nach Natorps Tod schwer, seine Leistungen für die pädagogische Theoriebildung zu würdigen. Die Jugendbewegung ehrte ihn mit einer Totenrede durch Karl Wilker (1885-1980) in der Zeitschrift der freideutschen Jugend "Junge Menschen".

Natorp war der Vertreter eines spezifisch deutschen methodischen Idealismus. Die zwei Erkenntnisstämme Immanuel Kants von Anschauung und Verstand wurden bei ihm zu Materie und Form der Erkenntnis. Raum und Zeit sind Denkbestimmungen der Relation und Größe. Das Gegebene wird zum Aufgegebenen, wonach zu fragen sinnlos ist. Erkenntnisse sind nicht subjektiv, sondern in der gesetzlichen Bestimmung der Erscheinungen zu objektivieren. Die synthetische Einheit ist dabei das Grundgesetz des Erkennens, das durch die Grundfunktionen der Kategorien (Qualität, Quantität, Relation und Modalität) bestimmt ist.

Das vorliegende Buch enthält die auf dieser Philosophie aufbauenden Grundanschauungen Natorps zum deutschen Staat und zur Neugründung von Volks- und Völkergemeinschaft mit Blick auf Deutschland und die Welt. Beide Gemeinschaften bauen für Natorp aufeinander auf und wurzeln im Individualen. Volk ist hier mehr als Einzelmensch, Menschheit mehr als Einzelvolk. Beiden kommt eine maßgebliche Bedeutung zu.

Interessant ist der neoplatonische Zug in dieser Schrift, wonach Natorp überzeugt ist, daß Volk kein Ding ist, das sterben kann, sondern eine Idee und es gebe aber keinen Tod der Idee. Damit ist auch das Volk stets existent. Zentral ist seine Charakterisierung des deutschen Geistes. Der Deutsche verwirkliche nicht und glaube nicht abschließend an die Verwirklichung seiner Idee, sei es die des Volkes oder eine ganz andere. Die Forderung an den Deutschen ist also nicht die pragmatische Verwirklichung einer Idee, das marxistische Paradies auf Erden ohne Dualismus von Kapital und Arbeit, sondern die Forderung nach dem neuen Zustand ist metaphysisch und überendlich. - Die Idee ist immer im Prozess der Verwirklichung, findet aber kein Ende. Darum sei das deutsche Volk das tragischste der Erde, denn das deutsche Volk als dasjenige der Idee sei getragen von einem Glauben, ein Glaube aller Wirklichkeit zum Trotz. Er macht das Leben zum tragischen Erleben auf Zeit.

Das Gegebene wird zum Aufgegebenen und müsse akzeptiert werden. Dies führt natürlich zu einer gewissen heroischen Haltung im Leben, deren Ursprung geistige Tiefe und politische Nüchternheit ist. Die Widersprüche des Lebens sind dazu da, so ließe sich mit Natorp weiter denken, daß man sie fest ins Auge faßt und es mit ihnen aufnimmt, auch mit der Erkenntnis, sie niemals abschließend bewältigen zu können. Leben ist Sorge, permanente Sorge und niemals ein abschließend erreichbarer Heilszustand. Das macht das vorliegende Werk so wichtig: Es gewährt Einblick in die politische Ideengeschichte einer ereignisreichen Zeit und bietet Anknüpfungspunkte für die Gegenwart, in der politische Ideengeschichte sich vielmals auf profane Demokratiegeschichte reduziert und vorgibt, damit sei alles wichtige erreicht. - Ein folgenschwerer Irrtum, wenn Politik ohne einen gewissen Heroismus im Sinne Natorps lediglich als z.B. Parteienpolitik zu denken verordnet wird!
Fazit
Und so urteilt Natorp abschließend kämpferisch: "Unser Volk, und durch es die Menschheit, kann nicht sterben; es lebt und wird leben, obgleich es stürbe!" Damit tut er freilich nichts weiter als dem Konzept seiner Ideenlehre zu folgen: Eine Idee stirbt nicht und wenn die Idee das Volk ist, so stirbt sein Volk nicht!
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Vorgeschlagen von Daniel Bigalke [Profil]
veröffentlicht am 02. Juni 2009

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