Jeder ist allein sich selbst der Nächste, oder?
Durch die modernen Zeiten hindurch zieht sich ein immer drängender werdendes
Thema im Blick auf eine immer egozentrischer sich drehende Welt. Die Frage nach
dem Zusammenleben der Menschen, der Verantwortung füreinander, dem, was
wirklich hinter den vielfach heilen Kulissen vor sich geht und, zu guter letzt,
natürlich den Fragen der Zivilcourage und der letztlich hinter allem stehender
Werte.
An einem besonders eindrucksvollen Beispiel, basierend auf einer wahren
Begebenheit, hat nun Ryan David Jahn einen meisterhaft formulierten und
sprachlich beeindruckenden Spiegel in die Seiten eines Buches gebannt, der den
Leser gar nicht unbeeindruckt zurücklassen kann.
Aus dem Jahre 1964 setzt er auf 264 Seiten die Vergewaltigung und den Mord an
einer jungen Frau mitten in New York plastisch und eindringlich vor Augen.
Wobei der oberflächliche, erste Eindruck eines Thrillers oder Kriminalromans
dem Buch nicht gerecht wird. Viel eher bietet Jahn eine psychologische Studie,
eine Darstellung gemeinschaftlichen Versagens, das umso mehr trifft, als dass er
es so verständlich darstellt.
Der Kampf der jungen Frau, ihre Schreie, die in der Straße durchaus zu den
Fenstern der belebten Wohnungen heraufhallen, alles dass ist bereits so
eindringlich und plastisch geschildert, dass es nicht unberührt lässt. Wut
könnte aufkommen über all die Menschen, die durchaus den Lärm, die Schreie
hören und doch aus den verschiedensten Gründen nicht eingreifen. Wenn nicht
Jahn dieses Nicht-Eingreifen so ungeheuer plastisch erläutern würde und
dennoch die Wut nicht zu vertreiben vermag über Menschen, die in sich gefangen
sind.
So wie Diana, die mit ihrem gepacktem Koffer im Dunkeln der Wohnung sitzt und
sich durchringt, ihren Mann zu verlassen. Zur gleichen Zeit müssen Peter, Ron
und Bettie Beziehungsklärungen leisten, Peter hatte eine kurze Affäre mit Rons
Frau und kommt von dieser nicht wirklich los. Wichtige Themen, die innerlich
ganz in Beschlag nehmen.
Person um Person lässt Jahn auf den Seiten des Buches auftauchen und fasziniert
mit intensiven, zutreffenden Schilderungen all der Verwirrungen und
Verzweiflungen hinter den Kulissen des Lebens, die er in ruhigen, knappen
Sätzen in den Raum zu zeichnen versteht.
Während zum Ende des Buches hin der Mörder zur Arbeit fährt und sich
tatsächlich selber wundert, dass ihn niemand aufgehalten hat. Er weiß, dass
sie ihn gesehen haben, aus ihren Fenstern. Zumindest einige. Er, der sich erst,
als er das Messer in die Brust der Frau gestoßen hat, darüber klar wird, was
er da eigentlich wirklich getan hat.
Chronologisch und minutiös folgt Jahn dem Ereignis des Mordes von damals. Er
holt den Leser mitten hinein in die Panik und Angst der Kellnerin, die Wut und
den Ärger des Mörders, die vielen kleinen Welten in den angrenzenden Wohnungen
und auf der Strasse. Einen tiefen Eindruck hinterlässt das Buch. Zunächst in
der vordergründigen und drängenden Frage, wie dass sein kann, auf offener
Straße über eine erkleckliche Zeit hinweg um Hilfe zu rufen und keine Hilfe zu
erfahren, sodann aber hintergründig die Ursachen hierfür in den vielfach
komplexen und kleinteiligen Welten hinter den bürgerlichen Fassaden
aufzudecken.
Fazit
Obwohl der Mord selber 1964 und damit in einer konkreten, vergangenen Zeit am
konkreten Ort in New York stattfand, gelingt Ryan David Jahn ein zeitloser Blick
auf die Enge des menschlichen Denkens, die Konzentration mehr und mehr auf nur
die eigene, kleine Welt, die Feigheit. So, wie es Frank von seinem Vater gelernt
hat, dass Männer, die sich nicht fürchten, nicht Helden sind, sondern
Dummköpfe. Und der Blick auf das bröckelnde, wahre Leben hinter den Fassaden.
Hier mögen die Themen und teils drastischen Problematiken der Protagonisten
austauschbar sein, aber dass hinter der Fassade oft das Dunkle lauert, dass ist
damals wie heute nicht anders. Ein intensives und hervorragend umgesetztes Buch.
Vorgeschlagen von Lesefreund
[Profil]
veröffentlicht am 14. März 2011 2011-03-14 16:13:54