Selbstmorde und Todesfälle
Eine fast surreale Welt in der französischen Hauptstadt ist es, in der Antonin
Varenne seine fast ebenso surreal anmutende Geschichte ansiedelt.
Zumindest aber die dunklen Ecken von Paris sind es, die häufig in den Blick
gerückt werden von den Protagonisten der Geschichte, die ebenfalls dunkle, dem
Wahnsinn nahe Seiten nicht nur in sich, sondern ganz offenkundig nach außen hin
tragen.
Surreale Selbstmorde verbinden im Lauf des Buches zwei Erzählstränge
miteinander. Der eine Strang wird getragen von Kommissar Guérin, nach einem
Zusammenbruch abgeschoben mit einem eher tumb wirkenden Mitarbeiter in die
Sparte "Selbstmorde" der Pariser Polizei. Einer, der immer auf der
Kante zum Wahnsinn zu jonglieren scheint, der alles mit allem in Verbindung
seiht und mehr Opfer denn Akteur seiner inneren Bilder ist. Auch wenn er einen
der Selbstmorde verhindern kann, eine solche Häufung merkwürdiger Selbstmorde
kann für ihn kein Zufall sein. Als dann noch ein Teil der Mordkommission in
einem anderen Fall die Nerven verliert und vom Dienst suspendiert wird,
übernimmt er die Ermittlungen der aufsehenerregenden Todesfälle.
Einer dieser Todesfälle ist jener von Alan, der als Fakir im düstersten,
erotisch-pornographischen Umfeld auftritt und sich bei einem dieser Auftritte
vor aller Augen verbluten lässt, hängend an zwei Fleischerhaken an der Decke.
Sein Freund und Therapeut John Nichols reist aus der französischen Provinz nach
Paris, um die letzten Angelegenheiten Alans, des heroinsüchtigen
Piercingfanatikers, zu ordnen. Und sieht sich umgehend persönlichen Bedrohungen
ausgesetzt. Beileibe ist John Nichols trotz seines Berufes nicht der
"normale" Mensch, der nun den zweiten Erzählstrang schultert. Er
selbst lebt auf einem verwilderten Grundstück in der Provinz in einem Tipi,
trägt indianisch anmutende Kleidung und reist tatsächlich mit Pfeil und bogen
nach Paris.
Surreale Figuren, gebrochene Persönlichkeiten, die dennoch eines vereint: Dass,
was sie als Aufgabe empfinden und annehmen nehmen sie ganz auf sich. Mit jeder
Faser seines Seins verfolgt Guérin die Aufklärung der Selbstmorde und setzt
sich Nichols auf die Spuren seines toten Freundes. Beide treffen als Gegner und
Verbündete auf teils ebenso sonderliche Personen, niemand im Buch legt seinen
Lebensweg ungebrochen zurück.
Erst ab der Mitte des Buches deutet Varenne eine Verbindung aller Vorfälle an,
erst zum Ende der sich im Tempo steigernden Ermittlungen versucht er vor den
Augen der Leser offen zu legen, wie sehr Guérin der Wahrheit nahe wahr, das
alles mit allem verbunden ist. Ein Versuch, der allerdings nur mäßig gelingt
und äußerst konstruiert wirkt.
Sprachlich setzt Varenne seine surreale Geschichte bilderreich, düster und
emotionsgeladen um. Knappe Sätze, präzise Dialoge und Protagonisten mit
genauso viel Innen- wie Außenleben irren, suchen, taumeln teilweise durch die
Strassen und Parks von Paris, mehr von der Intuition geleitet denn von logischen
und deduktiven Ermittlungsergebnissen.
Fazit
Antonin Varrenne ist ein anderes Buch gelungen, mit einer ganz eigenen Sprache
und einer ganz eigenen Atmosphäre, die noch am ehesten mit der harten und
düsteren Welt eines James Ellroy vergleichbar wäre, aber einen ganz eigenen
Akzent setzt, der einen nicht loslässt, wenn man sich auf diese besondere Art
und die besonderen Personen im Buch einlässt. Eine Atmosphäre, die
Ungereimtheiten in der Konstruktion der Geschichte aufwiegt.
Vorgeschlagen von Lesefreund
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veröffentlicht am 25. Februar 2011 2011-02-25 13:25:00