Die zweite, dritte, vierte und x-te Chance
Zu sich selber zu finden, dass in sich zu entdecken, was man poetisch "die
eigene Stimme im Chor des Lebens" nennen könnte, ist eine wesentliche
Aufgabe im Leben eines Menschen. Ebenso, ehrlich und aufrichtig sein Leben den
anderen gegenüber zu gestalten. Vor allem, wenn man sich einmal etwas mehr als
nur oberflächlich dahingesagt verdeutlicht, dass die Zeitspanne zur Entwicklung
einer solchen ganz eigenen Stimme, mithin der Entdeckung des eigenen
Lebenssinns, beschränkt ist.
Am Horizont wartet der Tod (ein nicht angenehmes Thema, das deswegen gerne ganz
an den Rand der Wahrnehmung verdrängt wird) und somit ist die Zeitspanne, etwas
gutes, eigenes aus dem Leben zu gestalten, beschränkt.
In ihrem Debütroman verknüpft Lauren Oliver diese beiden Themen, die Frage
nach dem Sinn und der Entwicklung der eigenen Persönlichkeit mit der
Beschränktheit des Lebens, dem Tod, der hier allerdings in ganz anderer Weise
daherkommt, zunächst.
Sam ist eine typische, oberflächliche, amerikanische Heranwachsende, ein coller
und überheblicher Teenager, wie er im Raume steht, deren wichtigstes Ziel
Beliebtheit ist. Gemeinsam mit ihren drei Freundinnen ist sie einer der Stars
der Schule und nutzt diese Position umfassend aus. Wehe, ein anderer Schüler
kommt den vieren in die Quere, da wird gelästert und gemobbt, was das Zeug
hält. Zudem steht Sam kurz davor, mit Rob weitergehende Erfahrungen im
erotischen Bereich auf den Weg zu bringen. Doch all dies muss warten, denn
zunächst stirbt Sam an den Folgen eines Autounfalls. Ein wichtiger Moment im
Leben, könnte man sagen, wichtig übrigens auch noch für die letzten Seiten
des Buches. Geschickt nämlich verwebt Lauren Oliver die Handlungsstränge Ihres
Buches und dringt so, wie auch ihre Protagonisten Sam, von der Oberfläche in
die Tiefe vor. Denn mit Sams Tod ist noch lange nicht Schluss.
Mit dergleichen Grundidee wie auch ein erfolgreicher Hollywoodfilm (und
letztlich mit einem fast ähnlichen Anliegen) lässt die Autorin ihre tote
Heldin am nächsten Morgen in einer Zeitschleife wieder erwachen. Der 12.
Februar wird der Tag, den Sam immer wieder erlebt und, als sie begriffen hat,
dass sie in einer Zeitschleife steckt, der Tag, den Sam beginnt, zu gestalten.
Zunächst spielerisch, dann taucht sie tiefer ein in, auch in das zarte
Gefühlserleben mit Kent, der zu Zeiten vor dem Unfall keine sonderliche Rolle
in Sams Leben gespielt hat. Letztlich erkennt Sam zudem, dass eine ganz
bestimmte Aufgabe auf sie noch wartet. Eine Aufgabe, die sie erst dann wirklich
erfolgreichen erledigen werden kann, wenn sie einiges in sich entwickelt und
erkannt haben wird. Vor allem, dass sie, gegen ihr bisheriges, oberflächliches
und oft gehässiges Teenagerleben, die wirklich wichtigen Dinge des Lebens auf
ganz anderer Ebene in sich selbst zu finden vermag, dringt erst langsam in ihr
Bewusstsein. Bis sie zu dieser Erkenntnis reift, werden noch einige 12. Februare
stattfinden müssen und eine ganze Reihe teils berührender, teils wunderbar
humorvoller Ereignisse aus den Seiten des Buches steigen.
Fazit
Zum Glück, denn in der ihr ganz eigenen, bildhaften und fließenden Sprache,
mit ihren vielen kreativen Ideen und Wendungen, ohne den roten Faden aus den
Augen zu verlieren, ist Lauren Oliver ein wunderbares Buch gelungen, das viel
weniger mit dem Tod und dem Sterben, viel mehr aber mit der bunten Vielfalt und
Schönheit des Lebens zu tun hat. Sicherlich entwickelt sich das Buch in starker
Anlehnung an "Und täglich grüßt das Murmeltier", setzt aber doch
mit der Hauptperson Sam und der dramatischen Begleitumstände ganz eigene
Schwerpunkte, die sich gerade zum Ende hin deutlich vom Happy End der
Hollywoodkomödie unterscheiden. Ein Entwicklungsroman, der nicht nur für die
Hauptzielgruppe der Jugendlichen einen Gewinn darstellt.
Vorgeschlagen von Lesefreund
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veröffentlicht am 07. Februar 2011 2011-02-07 20:20:22