Zwingend hervorragend und hervorragend zwingend
"...diese Analyse ergab schließlich, dass Neutron schwerer war als die
Summe der Massen von Proton und Elektron. Die Massendifferenz... war allerding
sehr gering".
Und das wiederum ist in Verbindung mit dem Licht, das Kraus wie einen roten
Faden durch seine Betrachtungen ziehen lässt, "einer der entscheidenden
Gründe, warum wir heute existieren". Was trocken-wissenschaftlich hier
wirkt, ist in der Art der Formulierungen allerdings nur eine Seite dieses, am
Ende, glänzend erzählten Einblicks in das Universum und, vor allem, beim
Versuch, die grundlegende Frage zu beantworten, "Warum wir hier
sind".
Und auch wenn der ein oder andere christlich geprägte, gläubige Mensch beim
ersten Eindruck denken könnte, ob der Gliederung in Genesis, Exodus und
Offenbarung als Hauptteile des Werkes, dass Kraus Religion und Physik
miteinander in Einklang bringen könnte, das täuscht. Und ist doch überaus
klug gewählt. Denn die "alten, mythischen Antworten" in ihren Fragen
nach der Schöpfung, in ihrer Suche nach dem "Sinn des Weges des
Menschen" und in der Frage nach einer "anderen Wirklichkeit"
hinter der Wirklichkeit, einem "besseren Ort" und einer
"erlösenden Zukunft" an eben jenem "besseren Ort", sieht
Kraus die wesentlichen Fragen der Menschheit, die zu ihren Zeiten je mit
mythischen Geschichten und theologischen Dogmatiken beantwortet wurden.
Die Fragen bleiben grundlegend. Und können heute anders, tiefer, breiter,
"ent-zauberter" beantwortet werden. Mit einem Ergebnis, welche die
anthropomorphen Neigungen des Menschen zur Betrachtung der Welt, das
anthropozentrische Empfinden, den "gesunden Menschenverstand", die
"Intuitionen" und vieles mehr hinter sich lassen (müssen). Auf der
Basis von Platos Höhlengleichnis (welches Kraus hervorragend breit erläutert
und das bis zum Epilog des Werks seine Rolle spielt) dreht Kraus, im Bild, den
Kopf weg von der "Schattenwand", tritt hinaus aus der Höhle, findet
wundersame, abstrakte, tiefe Erkenntnisse über das, was das Universum ausmacht,
wie was darin zustande kam und kommt, dass hier noch lange nicht alle Kapitel
schon geschrieben sind und kulminiert in einer Abwandlung eines Zitates von
Albert Einstein (und geht in Widerspruch zu diesem):
"Gott würfelt seine Universen".
Denn angesichts des Mysteriums der Existenz des Universums und des Menschen
bleiben am Ende der fundierten, flüssig und verständlich verfassten
Darlegungen Kraus eben nur zwei grundsätzliche Möglichkeiten übrig: "Wir
können annehmen, uns komme eine besondere Bedeutung zu und das Universum sei
für uns geschaffen worden" (was einem
christlich-pietistischen-konservativem Verständnis entsprechen würde und somit
im Grunde alles, was ist und geschieht als "auf den Menschen
gerichtet" versteht). Eine Weltsicht, die von frühen
"Stammesgeschichten" entfaltet und begründet wurde. Eine Wahl, die
von fast allen Weltreligionen so getroffen wurde.
Oder man folgt den schrittweisen Erkenntnissen der Wissenschaft (Die
Wirklichkeit ist, was übrigbleibt, wenn der Glaube verschwindet). "Das man
im Vorhinein keine Angaben über die Antwort macht". Eine Entwicklung in
einem Universum, dessen Gesetzte unabhängig von der menschlichen Existenz
vorhanden sind. Und damit den Menschen, wie die Toten Hosen es sagen würden, zu
einer "Laune der Natur" machen. Was für Krauss keine Form der
Degradierung darstellt, sondern vielfache neue Möglichkeiten eröffnet.
"Ein Zeuge", eher aus Zufall, das ist das "Warum". Und
lässt jede Frage nach tieferer Begründung oder zielgerichteter Schöpfung
obsolet zurück. Und eröffnet dennoch die "freudige Feier des
Lebens", was Krauss wunderbar herzuleiten und zu begründen versteht.
Mitsamt einem Plädoyer gegen jedwede Tabus des Denkens und einer scharfen
Wendung gegen "Heilige Dogmatiken oder Setzungen", gegen alles, was
das neugierige, freie Denken, Forschen und Reden einschränkt.
Fazit
Eine zwingend herausfordernde Lektüre, was das "Aufräumen" mit
Grundgeschichten menschlicher Mythen angeht, eine herausfordernd zwingende
Lektüre, was die überzeugende Setzung der Argumente angeht. Die, trotz des
legeren Stils, dem Leser einiges an Abstraktionsvermögen abfordert. Wie das
eben so ist, wenn man die Ebene der allgemeinen Befindlichkeit verlässt und
wissenschaftlich-mathematisch die Bausteine des Universums ins Licht rückt.
Vorgeschlagen von Lesefreund
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veröffentlicht am 29. Mai 2018 2018-05-29 14:42:28