Wer lange Zeit keinen Detektivroman gelesen hat, der kann sich mit den neuen
Roman des medienscheuen Thomas Pynchon wieder an dieses Genre herantasten.
"Natürliche Mängel", so der deutsche Titel für "Inherent
Vice", führt zurück in das Kalifornien von 1970. Allerdings sollte der
Leser keinen Detektiv a la Philipp Marlowe oder Mike Hammer erwarten. Larry
"Doc" Sportello ist ein Detektiv Anfang Zwanzig und fest in der
Hippie-Szene verankert. Er verschmäht den Stoff nicht und hat seinem
Detektivbüro den vielsagenden Namen "Location, Survaillance,
Detection" - kurz: LSD - gegeben. Nur den chronischen Geldmangel hat er
gemein mit den anderen klassischen Romandetektiven. Deshalb ist ihm wie auch
jenen jeder Auftrag recht. So nimmt er noch schnell den Auftrag zum
Schuldeneintreiben an. Beim Leibwächter des in Los Angeles angesehensten
Immobilienhais soll er das Geld beschaffen. Leichte Sache, denkt er sich, taucht
jedoch bei seiner Arbeit in den neon-gelben Nebel eines Marihuana-Rauschs. Als
er wieder wach wird, blickt er in das Gesicht seines Lieblingspolizisten. Der
Schlamassel kann beginnen: neben ihm liegt der Leibwächter tot auf dem Boden,
der Immobilienhai ist spurlos verschwunden, entführt. Sein Lieblingspolizist
ist nicht gut auf Hippies zu sprechen.
Auf stets wechselnden Schauplätzen in L. A. und Las Vegas lässt Pynchon seinen
Detektiv ermitteln, höchst ominöse Gestalten agieren in der Handlung und legen
falsche Fährten sowohl für den Ermittler als auch für den Leser. Dazu
gehören auch der Lieblingspolizist Bigfoot Bjornsen, der Stacheldraht sammeln
sein Hobby nennt, Sportellos Anwalt, der hauptsächlich auf Donald Duck
spezialisiert ist, ein Verbrechersyndikat mit dem chinesisch klingen Namen
"Goldener Fang", Verbrecher wie Charles Manson und Richard Nixon.
Mit viel Humor und jede Menge kleiner Details lässt der Autor die frühen
1970er Jahre in Kalifornien im Kopf der Leser entstehen. Der Humor drückt sich
in der Skurilität der Figuren und ihren Dialogen aus. Äußerst unterhaltsam
ist das plötzliche Erscheinen von Sportellos Eltern vor seiner Wohnung, die er
zusammen mit einem Kumpel bewohnt. Oder auch die folgende Szene:
"Doc stellte fest, dass er keine Zigaretten mehr hatte. Er legte den Hörer
auf den Küchentisch und ging seine Stange Kools suchen, die sich nach längeren
Nachforschungen im Gefrierfach fand, neben den Resten einer Pizza, deren
Vorhandensein er vergessen hatte und deren Zutaten er trotz ihrer Buntheit nicht
mehr alle identifizieren konnte. Da er trotzdem leichten Hunger verspürte,
beschloss er, sich ein Sandwich mit Erdnussbutter und Mayonnaise zu schmieren,
machte eine kalte Dose Burgie ausfindig und wollte schon ins andere Zimmer
gehen, um den Fernseher einzuschalten, als er seltsame Geräusche hörte, die
vom Telefon kamen, dessen Hörer offenbar abgenommen war..."
Die vielen Details sorgen bei den Lesern, die die Zeit selbst miterlebt haben,
für unerschöpfliche Möglichkeiten, den Erinnerungen auf die Sprünge zu
helfen. Neben Fernsehserien wie "Raumschiff Enterprise" wird mit viel
Musik im West Coast Sound an die damalige Zeit erinnert. Die Beach Boys scheinen
dem Leser unaufhörlich im Ohr zu klingen, schrille Neonreklamen laufen vor
seinem geistigen Auge ab, auf jeder dritten Seite wird er zum Kiffen animiert.
Fazit
Nicht zuletzt dank der gelungenen Übersetzung von Nikolaus Stingl bietet der
Roman beste Unterhaltung auf hohem Niveau mit der Bedienung eines Genres in
allen Details und Klischees, die von diesem Genre erwartet werden. Eine
Zeitreise in eine vergangene, jedoch nicht zu ferne, Zeit, die von vielen Lesern
auch mit verklärten Augen gesehen werden wird und die von den jüngeren Lesern
zu einer Aufklärungsreise über ihre Eltern führen kann.
Und noch ein kleiner Tipp: auf YouTube oder bei Amazon kann der Videotrailer zum
Roman angeschaut werden, der angeblich vom Autor selbst besprochen sein soll.
Vorgeschlagen von Detlef Knut
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veröffentlicht am 29. Januar 2011 2011-01-29 11:40:46