In diesem Buch nimmt Henkel eine kritische Bestandsaufnahme der jüngsten
Politik der europäischen Regierungen zur Stabilisierung des Euro
einschließlich der jüngsten Rettungspakete vor. Henkel wirft den Politikern
vor, die Stabilitätskriterien von Maastricht, insbesondere die Regel, dass die
Europäische Union nicht für Schulden einzelner Mitgliedsstaaten haften dürfe
("No Bail Out" Klausel) nicht eingehalten zu haben. Nicht
wirtschaftliche, sondern politische Kriterien seien bei der Aufnahme von
wirtschaftlichen "Wackelkandidaten" wie Griechenland, Italien oder
Spanien maßgebend gewesen und dies widerspreche den von Deutschland
eingeführten Stabilitätskriterien des Euro. Außerdem habe sich Deutschland,
insbesondere Kanzlerin Merkel, von Frankreich über den Tisch ziehen lassen und
einen instabilen Euro sowie die Rettungspakete akzeptiert. Frankreich habe
Deutschland mit der Drohung, die gemeinsame Währungsunion zu verlassen,
erpresst und Deutschland habe dafür die oben genannten Stabilitätskriterien,
die Ex-Finanzminister Theo Weigel und sein damaliger Staatssekretär Horst
Köhler in den Maastricht-Vertrag eingefügt hätten, verwässert.
Als Lösung schlägt Henkel die Schaffung zweier Währungen vor: einen Nord-Euro
unter Führung Deutschlands und einen Süd-Euro unter Führung Frankreichs. Die
Länder, die eine sparsame Haushaltspolitik betrieben und eine zentralistische
Wirtschaftsregierung ablehnten, sollten unter Führung Deutschlands einen
Nord-Euro gründen. Die Länder, die ihre Wirtschaft zentralistisch und
Haushaltsprobleme über Inflation lösen wollten, sollten unter Führung
Frankreichs einen Süd-Euro gründen.
So weit in Kürze die Aussagen von Hans-Olaf Henkel.
Die Bewertung seiner Thesen ist m.E. nicht ganz einfach. In der Analyse gebe ich
Henkel recht. Mit den Rettungspaketen für Griechenland (in Bezug auf Irland
spielen andere Faktoren, die Bankenkrise, eine Rolle in Bezug auf dessen
Verschuldung) ist in der Tat eine der zentralen Regelungen von Maastricht, die
Gemeinschaft der EU nicht für die Schulden anderer Länder in Haftung zu
nehmen, durchbrochen worden. De facto wurde - wie in Deutschland - ein
Länderfinanzausgleich eingeführt.
Problematisch wird m.E. jedoch der Lösungsvorschlag Henkels. Er favorisiert
zwei Euros. Die Stärke eines Landes - oder einer Ländergemeinschaft - werde am
Euro sichtbar und durch zwei Eurozonen werde deutlich, wer solide wirtschafte
und wer nicht. Dies wirke sich letztlich positiv auf die Leistungsbilanz (nicht:
Handelsbilanz!) eines Landes aus, zumal Importe in diese Länder billiger
würden.
Dem ist meines Erachtens - mit Helmut Schmidt - entgegen zu halten, dass
Deutschland wie kein anderes EU-Land vom Export abhängt und - je nach Statistik
- zweit- oder drittgrößtes Exportland der Welt ist. Und ein Nordeuro unter
Deutschlands Führung würde so gegenüber Dollar und anderen Währungen
aufgewertet, dass Deutschlands Produkte - trotz guter Qualität! - nicht mehr
auf dem Weltmarkt konkurrenzfähig wären. Dies war ja ein wesentlicher Grund
für die Einführung des Euro und Henkel selbst beschreibt ja, wie
Arbeitsplätze der Exportindustrie ins Ausland verlegt wurden, weil Deutschlands
Produkte nicht mehr wettbewerbsfähig waren.
Auf diese Einwände geht Henkel in seinem Vorschlag - seinem letzten Kapitel -
nicht ein. Und daher "leidet" der informatorische "Wert"
seines Buches.
Zum anderen ist leider festzustellen, dass Henkel in diesem Band sehr zu
Polemiken neigt. Im Anfangskapitel "Die Maulkorbrepublik" verteidigt
er vehement die Thesen Thilo Sarrazins, der - wie Henkel selber - in diesem Land
keine "tabubrechenden" Vorschläge machen dürfe (Henkel sieht in
seinem Vorschlag der Abschaffung des Euro als Gemeinschaftswährung ebenfalls
einen Tabubruch für die politische Klasse Deutschlands) und ein fähiger
Bundesbankvorstand gewesen sei, der mit wirtschaftlichem Sachverstand ebenfalls
die Abschaffung des Euro gefordert habe.
Was bitte hat Sarrazin - der Henkels Buch lobt wie Henkel den Titel Sarrazins -
mit der Euro-Thematik zu tun? So sehr ich mich dagegen wehre, Henkel als
"Euro-Sarrazin" zu bezeichnen, so wenig hat m.E. das Kapitel über
Sarrazin in diesem Buch zu suchen, in dem es in erster Linie um Währungspolitik
und europäische Wirtschafts- und Finanzpolitik gehen sollte.
Schade, denn so werden an sich lesenswerte Argumente und Gedanken - und m.E.
stimmt die Analyse Henkels, wenn ich auch seinem Lösungsvorschlag nicht folgen
kann - durch überflüssige Polemik entwertet.
Ohne die genannten Schwächen wäre das Buch lesenswert, denn Henkel
argumentiert schnörkellos offen und kommt erfrischend zur "Sache"
ohne "Drumherum" zu reden, was mir an Henkels Publikationen generell
gefällt.
Fazit
Schade, dass hier Verbitterung und Polemik über Analyse und Sachlichkeit
gesiegt haben. Dies schmälert daher leider den Informationswert des ansonsten -
was die Analyse der EU-Probleme angeht - durchaus lesenswerten Buches
Vorgeschlagen von Bernhard Nowak
[Profil]
veröffentlicht am 29. Dezember 2010 2010-12-29 12:01:25