Deutschland von vielen Seiten
Wenn ein Jude Dachau besucht und nachher zugibt, dass es schwer war, damit aber
das Essen in der Kantine meint und dass er nie mehr soviel auf einmal essen
will, dann ist Henryk M. Broder vor Ort. Der Journalist der spitzen Zunge und
spitzen Feder, der die Polemik zum Markenzeichen erkoren hat. Der Jude, der
allein schon deswegen Schweinefleisch isst (neben dem ständigen Hunger,
natürlich), damit auf keinen Fall an einem Sabbath alle Juden alle Gebote
erfüllen. Denn dies hätte das sofortige Erscheinen des Messias und damit das
Weltende zur Folge, ein Geschehen, das Broder auf jeden Fall hinauszögern
möchte.
Diese zugespitzte Polemik kann man mögen oder auch nicht, kühl lässt sie auf
keinen Fall. Kongenial ergänzt wird Broder in diesem Experiment, welches dem
Buch zugrunde liegt, durch den höchst integrierten, gerne ein Bier trinkenden,
Moslem, der versucht, vom Glauben zum Wissen zu finden, Hamed Abdel-Samad,
sachlich, nüchtern, differenziert (wobei es am Ende der Reise nicht ausbleibt,
dass Broder hier und da die Polemik zurückfährt, Abdel-Samad im Gegenzug das
spitze Wort durchaus zu schätzen gelernt hat).
Kreuz und quer durch Deutschland fahren die beiden, mit Abstechern nach Holland
und Dänemark, und treffen in unnachahmlicher Weise auf das gesamte Spektrum der
eher Unbelehrbarer. Von den Anhängern der NPD über die friedensbewegten
Großmütter in Berlin, von der freien Republik Christiania bis zum Oktoberfest
(unglaublich, wie Broder mit einer Burka gewandet im Dialog mit moslemischen
Jugendlichen religiöse Toleranz einfordert). Vom Moschee Verein zur letzten
Enklave aufrechter ehemaliger Stasi Mitarbeiter, von der Friedensradfahrt (auch
durch die brutale Diktatur in Weißrussland) bis nach Dachau reichen die Wege
der beiden. Wege, auf denen sie auf fast unfassbar einfältige Menschen und
Argumentationen treffen, Wege, auf denen sie in ihrem Automobil alles Erlebte in
unnachahmlicher Sprache miteinander, natürlich auch gegeneinander,
reflektieren.
In der Form dialogisch, illustriert, teils bruchstückhaft, in der polemischen
Sprache und wirklich unerreichter, aber ungeheuer entspannender Selbstironie des
Juden Broder und des Moslem Abdel-Samad ergibt sich hinter all den fast
persiflierten Begegnungen dennoch Seite für Seite eine echte Tiefe, die aber
eher zu erahnen denn ausgesprochen im Buch vorliegt (wunderbar vor allem das
Beispiel mit dem Eiswürfel im Blick auf Integrationsverweigerer, die alle
Energie in die Frostung hineinsetzen statt dem Fluss des Lebens selbst
nachzugeben und sich im Wasser der Gesellschaft aufzulösen).
Eine Tiefe mit ernstem Hintergrund, die in den Nachwörtern der Autoren
anklingt, wobei gerade Hamed Abdel-Samad hier Maßstäbe setzt. Denn so
verschieden die Gruppen der Friedensbewegten, der jugendlichen Moslems mit
"Ehre im Leib", der ehemaligen Stasi Mitarbeiter oder gar der Neonazis
in ihren benannten Zielen auch sein mögen, eines vereint all diese Gruppen. Sie
leben isoliert in einer ganz eigenen Welt und nähren einander mit
Verschwörungstheorien der Welt da draußen (seien es deutsche freie Sitten,
seien es Juden, seien es kriegstreibende Amerikaner).
Treffend gelingt es dabei den beiden Autoren, gar nicht groß selbst Wertungen
vorzunehmen, sondern die verschiedenen Gesprächspartner und Gruppen sich selber
entblößen zu lassen. Das reicht dann von den türkischen Jugendlichen, die
stammelnd die Ehre der Schwestern zu erläutern versuchen, bis hin zu den
bayerischen Volksbräuchen, bei denen genauso nur gestammelt wird, letztlich.
Selten war so gut zu erkennen, wie Abdel-Samad pointiert bemerkt, dass hier ein
oft ausgeprägtes Geltungsbedürfnis mit äußerst bescheidenen Begabungen
einher geht. Und da all diese Leute auf normalem Wege keine Aufmerksamkeit
erlangen können, sind es starre und laute Weltbilder, die jene Aufmerksamkeit
dann eben zu erzeugen haben.
Zwei äußerst sprachbegabte, im Witz lakonisch-trocken bis zum Zynismus hin
orientierte Männer auf einer vergnüglich scheinenden Fahrt in die, letztlich,
erschreckenden Abgründe menschlicher und "deutscher" Beschränktheit,
davon kündet dieses Buch. Und es gewinnt ungemein noch durch die gelebte,
gezeigte und erfahrbare liberale Haltung der Autoren. Wenn der Moslem
Abdel-Samad einen (hier nicht zu zitierenden) Judenwitz knapp von sich lässt
und dafür vom Juden Broder beste Haltungsnoten bescheinigt bekommt, dann wird
leibhaftig aufgezeigt, wie es viel besser gehen könnte mit jedweder
menschlichen Integration zueinander (ja, auch der der Bayern zum Rest der Welt
hin). Leider werden die Betroffenen das Buch eher nicht lesen und wenn, dann
wahrscheinlich unbelehrbar bleiben. Dem Rest der Leser aber wird diese Fahrt
durch die Lande besten Lesegenuss bescheren.
Fazit
Zwei äußerst sprachbegabte, im Witz lakonisch-trocken bis zum Zynismus hin
orientierte Männer auf einer vergnüglich scheinenden Fahrt in die, letztlich,
erschreckenden Abgründe menschlicher und "deutscher" Beschränktheit,
davon kündet dieses Buch. Und es gewinnt ungemein noch durch die gelebte,
gezeigte und erfahrbare liberale Haltung der Autoren. Wenn der Moslem
Abdel-Samad einen (hier nicht zu zitierenden) Judenwitz knapp von sich lässt
und dafür vom Juden Broder beste Haltungsnoten bescheinigt bekommt, dann wird
leibhaftig aufgezeigt, wie es viel besser gehen könnte mit jedweder
menschlichen Integration zueinander (ja, auch der der Bayern zum Rest der Welt
hin). Leider werden die Betroffenen das Buch eher nicht lesen und wenn, dann
wahrscheinlich unbelehrbar bleiben. Dem Rest der Leser aber wird diese Fahrt
durch die Lande besten Lesegenuss bescheren.
Vorgeschlagen von Lesefreund
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veröffentlicht am 13. Dezember 2010 2010-12-13 10:08:04