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Hamed Abdel-Samad, Henryk M. Broder: Entweder Broder

Entweder Broder

von Hamed Abdel-Samad, Henryk M. Broder
Verlag: Albrecht Knaus Verlag [mehr Bücher von diesem Verlag zeigen]
Sparte: Dokumentation
ISBN-13 978-3-8135-0421-7

Preis: 5,74 Euro bei Amazon.de [Stand: 20. November 2024]
Deutschland von vielen Seiten

Wenn ein Jude Dachau besucht und nachher zugibt, dass es schwer war, damit aber das Essen in der Kantine meint und dass er nie mehr soviel auf einmal essen will, dann ist Henryk M. Broder vor Ort. Der Journalist der spitzen Zunge und spitzen Feder, der die Polemik zum Markenzeichen erkoren hat. Der Jude, der allein schon deswegen Schweinefleisch isst (neben dem ständigen Hunger, natürlich), damit auf keinen Fall an einem Sabbath alle Juden alle Gebote erfüllen. Denn dies hätte das sofortige Erscheinen des Messias und damit das Weltende zur Folge, ein Geschehen, das Broder auf jeden Fall hinauszögern möchte.

Diese zugespitzte Polemik kann man mögen oder auch nicht, kühl lässt sie auf keinen Fall. Kongenial ergänzt wird Broder in diesem Experiment, welches dem Buch zugrunde liegt, durch den höchst integrierten, gerne ein Bier trinkenden, Moslem, der versucht, vom Glauben zum Wissen zu finden, Hamed Abdel-Samad, sachlich, nüchtern, differenziert (wobei es am Ende der Reise nicht ausbleibt, dass Broder hier und da die Polemik zurückfährt, Abdel-Samad im Gegenzug das spitze Wort durchaus zu schätzen gelernt hat).

Kreuz und quer durch Deutschland fahren die beiden, mit Abstechern nach Holland und Dänemark, und treffen in unnachahmlicher Weise auf das gesamte Spektrum der eher Unbelehrbarer. Von den Anhängern der NPD über die friedensbewegten Großmütter in Berlin, von der freien Republik Christiania bis zum Oktoberfest (unglaublich, wie Broder mit einer Burka gewandet im Dialog mit moslemischen Jugendlichen religiöse Toleranz einfordert). Vom Moschee Verein zur letzten Enklave aufrechter ehemaliger Stasi Mitarbeiter, von der Friedensradfahrt (auch durch die brutale Diktatur in Weißrussland) bis nach Dachau reichen die Wege der beiden. Wege, auf denen sie auf fast unfassbar einfältige Menschen und Argumentationen treffen, Wege, auf denen sie in ihrem Automobil alles Erlebte in unnachahmlicher Sprache miteinander, natürlich auch gegeneinander, reflektieren.

In der Form dialogisch, illustriert, teils bruchstückhaft, in der polemischen Sprache und wirklich unerreichter, aber ungeheuer entspannender Selbstironie des Juden Broder und des Moslem Abdel-Samad ergibt sich hinter all den fast persiflierten Begegnungen dennoch Seite für Seite eine echte Tiefe, die aber eher zu erahnen denn ausgesprochen im Buch vorliegt (wunderbar vor allem das Beispiel mit dem Eiswürfel im Blick auf Integrationsverweigerer, die alle Energie in die Frostung hineinsetzen statt dem Fluss des Lebens selbst nachzugeben und sich im Wasser der Gesellschaft aufzulösen).

Eine Tiefe mit ernstem Hintergrund, die in den Nachwörtern der Autoren anklingt, wobei gerade Hamed Abdel-Samad hier Maßstäbe setzt. Denn so verschieden die Gruppen der Friedensbewegten, der jugendlichen Moslems mit "Ehre im Leib", der ehemaligen Stasi Mitarbeiter oder gar der Neonazis in ihren benannten Zielen auch sein mögen, eines vereint all diese Gruppen. Sie leben isoliert in einer ganz eigenen Welt und nähren einander mit Verschwörungstheorien der Welt da draußen (seien es deutsche freie Sitten, seien es Juden, seien es kriegstreibende Amerikaner).

Treffend gelingt es dabei den beiden Autoren, gar nicht groß selbst Wertungen vorzunehmen, sondern die verschiedenen Gesprächspartner und Gruppen sich selber entblößen zu lassen. Das reicht dann von den türkischen Jugendlichen, die stammelnd die Ehre der Schwestern zu erläutern versuchen, bis hin zu den bayerischen Volksbräuchen, bei denen genauso nur gestammelt wird, letztlich. Selten war so gut zu erkennen, wie Abdel-Samad pointiert bemerkt, dass hier ein oft ausgeprägtes Geltungsbedürfnis mit äußerst bescheidenen Begabungen einher geht. Und da all diese Leute auf normalem Wege keine Aufmerksamkeit erlangen können, sind es starre und laute Weltbilder, die jene Aufmerksamkeit dann eben zu erzeugen haben.

Zwei äußerst sprachbegabte, im Witz lakonisch-trocken bis zum Zynismus hin orientierte Männer auf einer vergnüglich scheinenden Fahrt in die, letztlich, erschreckenden Abgründe menschlicher und "deutscher" Beschränktheit, davon kündet dieses Buch. Und es gewinnt ungemein noch durch die gelebte, gezeigte und erfahrbare liberale Haltung der Autoren. Wenn der Moslem Abdel-Samad einen (hier nicht zu zitierenden) Judenwitz knapp von sich lässt und dafür vom Juden Broder beste Haltungsnoten bescheinigt bekommt, dann wird leibhaftig aufgezeigt, wie es viel besser gehen könnte mit jedweder menschlichen Integration zueinander (ja, auch der der Bayern zum Rest der Welt hin). Leider werden die Betroffenen das Buch eher nicht lesen und wenn, dann wahrscheinlich unbelehrbar bleiben. Dem Rest der Leser aber wird diese Fahrt durch die Lande besten Lesegenuss bescheren.
Fazit
Zwei äußerst sprachbegabte, im Witz lakonisch-trocken bis zum Zynismus hin orientierte Männer auf einer vergnüglich scheinenden Fahrt in die, letztlich, erschreckenden Abgründe menschlicher und "deutscher" Beschränktheit, davon kündet dieses Buch. Und es gewinnt ungemein noch durch die gelebte, gezeigte und erfahrbare liberale Haltung der Autoren. Wenn der Moslem Abdel-Samad einen (hier nicht zu zitierenden) Judenwitz knapp von sich lässt und dafür vom Juden Broder beste Haltungsnoten bescheinigt bekommt, dann wird leibhaftig aufgezeigt, wie es viel besser gehen könnte mit jedweder menschlichen Integration zueinander (ja, auch der der Bayern zum Rest der Welt hin). Leider werden die Betroffenen das Buch eher nicht lesen und wenn, dann wahrscheinlich unbelehrbar bleiben. Dem Rest der Leser aber wird diese Fahrt durch die Lande besten Lesegenuss bescheren.
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Vorgeschlagen von Lesefreund [Profil]
veröffentlicht am 13. Dezember 2010

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