Motiv Hass
Düster ist sie, die Atmosphäre in Anne Holts neuem Kriminalfall. Düster und
weitverzweigt.
Ein Betrunkener fällt ins weihnachtlich eiskalte Hafenwasser, bei der Rettung
durch einen jungen, mutigen Mann wird eine ganz andere Person noch mit aus dem
Wasser gefischt. Diese aber ist bereits seit längerem Tod und in entsprechendem
Zustand.
Bereits schon die Schilderung dieses ersten Leichenfundes zeigt auf, wie
intensiv Anne Holt es versteht, eine dichte Atmosphäre durch ihre bildhafte und
direkte Art der Beschreibung aufzubauen. Sind es hier die klaren und direkten
Sätze, die in den Bann ziehen, ist es im weiteren Verlauf die Fülle von nur
angedeuteten Hintergründen, die zunächst viele lose Stränge des Falles
vermeintlich unverbunden in den Raum setzen.
Kommissar Ingvar Stubo feiert mit seiner Patchworkfamilie Weihnachten, da
erfährt er, dass Bischöfin Lysgaard in der Nacht des heiligen Abends bei einem
Spaziergang ermordet wurde. Umgehend wird er zur Untersuchung des Falles nach
Bergen beordert.
Was aber führte überhaupt dazu, dass die Bischöfin alleine unterwegs war?
Ein heranstrebender Künstler, kurz vor seinem zumindest nationalen Durchbruch
wird diesen ebenfalls nicht mehr erleben.
Während Ingvar versucht, Licht in das mysteriöse Dunkle der Morde zu bringen,
für die er beim besten Willen kein Motiv erkennen kann, beschleicht seine
allein zurückgebliebene Frau das Gefühl, dass ein Fremder ihrer Tochter
nachstellt. Als dann noch eine höchst konservative christliche Vereinigung ins
Spiel gerät, die den liberalen Ideen der Bischöfin zutiefst hasserfüllt
gegenübersteht, wird die Verwirrung zunächst noch größer, bevor dann im
zweiten Teil des Buches all die vermeintlich losen Fäden der verschiedenen
Morde und Bedrohungen sich zu einem unerwartetem Bild verknüpfen und langsam
die Hintergründe der Morde und damit der mögliche Täter in den Blick
geraten.
Leger könnte man sagen, dass es gilt, den ersten Teil des Buches als Leser zu
überstehen. Die einerseits fremden, nordischen Namen, die andererseits alle
irgendwie ähnlich klingen macht es nicht leicht, jederzeit auf der Höhe der
gerade handelnden Personen zu bleiben. Die vielen Perspektivwechsel, vor allem
das doch für längere Zeit Verlassen des ermittelnden Kommissars zugunsten
seiner Frau und einer anderer Nebenfiguren führt zu einer Vielzahl von
unverbunden wirkenden Ereignissen, vor allem aber dazu, dass auch die
Ermittlungen im eigentlich hauptsächlichen Mord an der Bischöfin ebenso sehr
aus dem Blick genommen werden.
Das Ertragen dieser leichten Verwirrung aber lohnt sich durchaus, wenn zur Mitte
des Buches hin sowohl die Stringenz als auch die Erzählweise der Autorin Fahrt
aufnehmen und Seite für Seite klarer wird, wie all die unverbunden wirkenden
Geschichten und Ereignisse des ersten Teil des Buches miteinander in Beziehung
stehen. Natürlich wäre Anne Holt nicht Anne Holt, wenn das ganze Bild samt dem
tatsächlichen Täter bereits vor den letzten Seiten allzu deutlich im Raume
stehen würde. So gelingt es ihr tatsächlich im intensiven Finale des Buches
alle Fäden zusammen zu weben und einen Täter zu präsentieren, der eine
tatsächliche Überraschung darstellt. Fast ein Nebenprodukt der vielfachen
Verästelungen und Personen ist, dass es Anne Holt wie nebenbei gelingt, ein
prägnantes Bild ihrer Protagonisten zu erstellen und diese damit dem Leser in
ihren unterschiedlichen Persönlichkeiten durchaus nahe bringt.
Fazit
Ein intelligent konstruierter Kriminalroman, der nach bedächtigem und leicht
verwirrendem Beginn durchaus fahrt aufnimmt und mit so manchen überraschenden
Wendungen aufwartet, die die Spannung hoch halten.
Vorgeschlagen von Lesefreund
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veröffentlicht am 10. Dezember 2010 2010-12-10 19:29:49