Helmut Kohls Biographie 1982 bis 1990 umfasst die ersten - und aus Kohls Sicht -
entscheidenden Jahre seiner sechzehnjährigen Kanzlerschaft, von seinem
Amtsantritt im Oktober 1982 bis zur deutschen Wiedervereinigung. Eine
ausführliche Würdigung dieser Biographie kann - dies sei hier gleich gesagt -
aus Platzgründen nicht geleistet werden. Die Erinnerungen sind - wie der erste
Band auch - streckenweise fesselnd zu lesen. Dies gilt insbesondere für die
außenpolitischen Ereignisse, die einen Schwerpunkt der Memoiren und Interessen
des Autors ausmachen. Hier fällt auf, wie stark für Helmut Kohl auch in der
Außenpolitik die Beziehung zu den führenden Staatsmännern eine Rolle spielte,
obwohl auch interessante Informationen über bestimmte Regionen - etwa Asien -
vermittelt werden. Eine enge Freundschaft verband Kohl mit Mitterrand, Reagan
und George Bush dem Älteren. Letzterer hat entscheidend zur Wiedervereinigung
Deutschlands beigetragen. Auch zu Gorbatschow fand Kohl recht bald ein gutes
Verhältnis - nach seinem unerträglichen Gorbatschow-Goebbels-Vergleich von
1986. Grundlage des Vertrauens sei die Verlässlichkeit seiner Politik gewesen.
Versprechungen - etwa, der Sowjetunion mit Lebensmitteln im Winter 1989/90
beizustehen - habe er gehalten. Deren Führer hätten genau gewußt, was auf sie
zukomme.
Innenpolitisch fallen die Memoiren deutlich ab. Mit regelrechtem Hass - von
Abgeklärtheit keine Spur - verfolgt Kohl innerparteiliche Kritiker. An erster
Stelle rechnet er mit dem früheren Bundespräsidenten von Weizsäcker ab, dem
er ständige Quertreibereien gegen seine Politik vorhält; dies mag zwar
stimmen, wird jedoch nicht differenziert dargestellt.
Ausgewogenheit und Differenziertheit sind Kohls Stärke nicht; beim Lesen der
Erinnerungen hat man den Eindruck: Kohl fehlt jeglicher Selbstzweifel; ob in der
Spendenaffäre oder - für mich ganz eklatant - in der sogenannten
Wörner-Kießling-Affäre von 1984. Hier hält er - meines Erachtens ohne Grund
- an einem Verteidigungsminister fest, der einen zu Unrecht in Verdacht
geratenen General noch bespitzeln ließ, um keine eigenen Fehler zugeben zu
müssen.
So erhält der - nachdenkliche - Leser am Ende das Gefühl: es kann nur einer:
Helmut Kohl. Ich - so die ungeschriebene Botschaft der Erinnerungen - bin der
beste, bleibe der beste und alles andere sind Zwerge. Diese - zugegebermaßen
überspitzte - Einschätzung habe ich bekommen. Jegliche Distanz zu sich selbst,
jeglicher Selbstzweifel, fehlt. Kleinliche Rachsucht wird Leuten wie Norbert
Blüm, Heiner Geißler, Rita Süßmuth und anderen entgegengebracht, die es
wagten, dem "Patriarchen" zu widersprechen und anderer Meinung als
Kohl zu sein. Schade. Denn diese Mängel überdecken durchaus ergreifende
Passagen der Memoiren, etwa die Beschreibung der deutsch-französischen
Versöhnung von Verdun 1984. Ich hatte mehr erwartet.
Fazit
Leider bestätigt sich auch hier: Erinnerungen - insbesondere von Politikern -
beschreiben, wie diejenigen, die sie schreiben, sich sehen wollen und ihren
"Platz in der Geschichte" definieren. Mit der Realität hat dies
häufig wenig zu tun. Zur Quellenforschung - gerade in Bezug auf die Geschichte
der deutschen Wiedervereinigung - taugen sie nicht.
Vorgeschlagen von Bernhard Nowak
[Profil]
veröffentlicht am 12. November 2005 2005-11-12 09:15:03