Detaillierte und umfassende Geistesgeschichte
Vom Ende des Barock und damit vom Anfang der Renaissance bis zur Gegenwart
reicht der zeitgeschichtliche Bogen, den der Publizist Peter Watson mit seinen
Betrachtungen der Geistes - und Kulturgeschichte der Deutschen spannt.
Hierbei beginnt er seine Darstellungen mit der Feststellung, dass die Zeit des
Nationalsozialismus wie ein Fallbeil die bis dahin unbestrittene
Vorrangstellung des deutschen Denkens in der Welt fast abgeschlagen hat und
setzt daher, folgerichtig, zu dieser unseligen Zeit eine Zäsur. Mit dem Ziel,
die tiefgreifende Erfolgsgeschichte der deutschen Geistesgeschichte einerseits
wieder ins Bewusstsein zu rücken und andererseits die Anknüpfungspunkte an
diese auch nach der Zeit des zweiten Weltkrieges neu in den Blick zur rücken.
So reicht sein Bogen denn auch bis in die aktuelle Gegenwart, dem deutschen
Papst Benedikt, hinein.
Schwerpunkt aber ist die Zeit des beginnenden 18. Jahrhunderts bis zur
Machtergreifung der Nationalsozialisten 1933. Eine Zeit, in der Deutschland mehr
Nobelpreisträger hervorgebracht hat, als Amerika und England zusammen, eine
Zeit, in der das Wort Thomas Manns durchaus weitreichende Bedeutung hatte:
"Kann man Musiker sein, ohne Deutsch zu sein"?
Im Aufbau des Buches folgt Watson zunächst der Einsicht, das sich Genie und
Zeit miteinander in Verbindung setzen, dass einerseits Zeitströmungen und
Entwicklungen Menschen zu geistigen Höhenflügen motivieren, dass andererseits
Zeitströmungen und geschichtliche Entwicklungen gerade durch solche
Höhenflüge einzelner einen deutlichen Schub erhalten. Die langsame Einigung zu
einer Volksgemeinschaft aus vielen Kleinstaaten heraus und der hohe Wert, der
der Bildung mehr und mehr zugeschrieben wurde zu jener Zeit, sind die beiden
äußeren Entwicklungen, die den Drang nach Vollkommenheit in einem
geschlossenen, kulturgeschichtlichen Raum befördert haben.
In sechs Teilen folgt Watson den Spuren des deutschen Genius. Eine Entwicklung,
die nicht nur in Deutschland, sondern die in ihren Vertretern von Bach über
Beethoven bis Wagner, von Novalis über Goethe bis Thomas Mann, von Kant über
Hegel bis Feuerbach, sowohl den rein ästhetischen Genuss würdigt, natürlich
an Philosophie und Humanismus nicht vorbeigeht und die Dichtung und geistige
Blüte Weimars mit in den Blick nimmt. Eine Entwicklung, die Deutschland zur
intellektuellen Großmacht hat werden lassen.
Wichtig zudem, dass Watson nicht an der reinen Geistesgeschichte sich
abarbeitet. Ebenso detailliert wirft er einen ausführlichen Blick auf die
Forschungs- und damit materielle Kulturgeschichte. Sei es im Rahmen der Physik,
im Blick auf die Laborforschung durch Siemens, Zeiss und andere oder im Metall-
und Fahrzeugbau, immer gelingt es Watson, die inneren Verbindungen der einzelnen
Entwicklungen zu zeigen, so dass ein kompaktes und in sich verflochtenes Bild
der sich gegenseitig befruchtenden Geistes- und Kulturgeschichte Deutschlands
entsteht, die zu weltweitem Ruf auf vielfachen Gebieten geführt haben.
Eindrucksvoll schließt Watson mit seinen Einlassungen zu den Gefahren all zu
großer Innerlichkeit und Idealisierung des Geistigen, des Genius. Gefahren
einer Innerlichkeit, beruhend auf Luther und dem Pietismus, die leicht in
Selbstüberhöhung und stereotypen Aburteilungen anderer ausmünden können,
mit, wie die Geschichte gezeigt hat, massiv destruktiven Folgen.
Dies alles stellt Watson in übersichtlicher Struktur dar, immer ist eine klare
Orientierung im Buch möglich, bis in das breit angelegte Literaturverzeichnis
hinein. Zudem in verständlicher, flüssiger Sprache, ohne abstrakte
Wissenschaftlichkeit, aber auch die Gefahr vermeidend, sich im Trivialen sich zu
verlieren. Durchaus aber findet sich auch reines Lebensgefühl im Buch, Blicke
auf Schwabing, Wien und Berlin zu Zeiten zeigen, wie sehr geistiges Schaffen
auch den Alltag mit zu beeinflussen verstand und der (fast) am Ende stehende
Eindruck vom "Cafe Deutschland" vermag in den Raum zu stellen, wie
sich in der Moderne auch langsam der Blick von der Welt auf Deutschland beginnt,
zu ändern.
Fazit
Peter Watson ist ein fulminantes Buch gelungen, dass nicht nur einzelne Epochen
oder herausragende Persönlichkeiten der Geistesgeschichte eloquent erläutert
und bildhaft vor Augen führt, sondern vor allem die inneren Verbindungen
einzelner Bereiche und Strömungen zueinander offen legt und zudem die
mannigfaltigen und oft ganz entscheidende Wirkungen deutscher Geistes- und
Kulturentwicklung weltweit nachvollzieht.
Vorgeschlagen von Lesefreund
[Profil]
veröffentlicht am 05. Dezember 2010 2010-12-05 14:13:27