Tiefer Blick in menschliche Abgründe und innere Auflösung
Er hat Krebs. Endstadium. Und trifft auf einen Straßenladen, der
Verlängerungen anbietet. Jedweder Art. Aber die Sache beim Händler mit dem
teuflischen Namen hat einen Haken. Das von ihm genommene Unglück muss einem
anderen angelastet werden. Wen wählt er? Seinen vermeintlich besten Freund, den
er seit Jugendjahren im tiefsten Inneren hasst. Ungerührt betrachtet er, wie
seine Familie im Glück badet, sein Freund und dessen Familie aber in
zunehmendem Unglück ausgesetzt ist.
Sie ist seit 16 Jahren verheiratet und entdeckt durch Zufall, dass ihr Mann ein
diabolisches Doppelleben führt. Wie wird sie reagieren? In einer Art und Weise,
die minutiös innerlich offen gelegt wird und die Dinge des Lebens in Ordnung
bringen wird.
Zwei Eindrücke aus vier Kurzromanen, die Stephen Kings neuestes Buch ausmachen.
Geschichten und Romane, die er gereift und in mitreißender Form der Erzählung
gestaltet. Schon hat man 128 Seiten gelesen, wundert sich, dass doch eigentlich
gar nicht viel passiert ist an äußerer Handlung und ist dennoch wie durch
einen Sog mitten in der Geschichte.
Spärliche Landschaften und eine überschaubare Anzahl an Figuren dienen Stephen
King in jedem der vier Romane unterschiedlicher Länge dazu, seine im Alter
immer deutlicher werdenden Grundintentionen in unnachahmlicher Form auf den Weg
zu bringen. Ganz gewöhnliche Menschen in außergewöhnlichen Situationen, dass
ist das eine, dass Stephen King immer wieder schriftstellerisch gestaltet. Das
andere ist, beim Leser eine instinktive Reaktion hervor zu rufen, kein
distanziertes Nachdenken. Wenigen gelingt dies so, wie ihm. Wenn man die Szene
im ersten Roman verfolgt, in der ein Farmer, aus der Ich Perspektive erzählend,
mit seinem Sohn die zänkische und sich distanzierende Ehefrau (und Mutter)
tötet, wenn man sich der minutiösen und klaren Sprache Kings aussetzt, der den
Vorgang des Tötens so unfassbar real in den Raum setzt, dann bleibt eine
wahrlich Reaktion nicht aus. Auch nicht, wenn eine große, ekelerregende
Wanderrate sich am Euter einer noch lebenden Kuh zu schaffen macht. Dabei sind
es immer wieder die Kräfte zur Schilderung, die den Szenen ihre beunruhigende
Wirkung geben.
Diese immer noch unverhofft treffenden und schockierenden Elemente sind ein
Markenzeichen Kings und halten Seite für Seite den Leser in der Geschichte
gefangen, das eigentliche Ziel aber ist es in allen vier Romanen, die innere
Welt, das innere Erleben, auch den inneren Zerfall seiner Protagonisten Schritt
für Schritt, fast schleichend, in den Raum zu setzten und durch seine
gedruckten Worte hin lebendig werden zu lassen. Getreu seinem Motto, dass, wenn
man einen dunklen Ort betritt, man eine sehr helle Lampe mitnehmen sollte um
auch wahrlich jeden Winkel der Dunkelheit fast grell auszuleuchten und aus dem
Schatten heraus zu ziehen. Genau das will und das gelingt Stephen King immer
wieder meisterlich mit seinem Talent, genau jene dunklen Orte überhaupt erst zu
finden.
King ist und bleibt ein begnadeter Erzähler und das ist, was für ihn und,
letztlich, auch für den möglichen Leser zählt. Ein Erzähler, der
mittlerweile das Grauen in seinen späten Jahren noch deutlicher in seine
Figuren hinein verlegt. Weniger, wie in früheren Jahren, spielen Monster,
äußere Bedrohungen der surrealen Art oder äußere Katastrophen eine tragende
Rolle. Das Dunkel im Menschen ist es nun noch deutlicher als früher, dass King
intensiv ausleuchtet.
Fazit
Massiv, lebendig, düster, verwirrend, die dunkelsten Seiten menschlichen Seins
ausleuchtend, dies gelingt King in den vier Kurzromanen aus verschiedenen
Perspektiven heraus, wie so oft, in bester Form.
Vorgeschlagen von Lesefreund
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veröffentlicht am 05. Dezember 2010 2010-12-05 14:12:28