Geister des Lebens
Der Beginn des Buches klärt zunächst den äußeren den Rahmen, in dem die
Geschichte sich bewegen wird und den Anlass, aus dem heraus alles, was passiert,
geschehen wird.
Peter Leu bewohnt das elterliche Haus und besitzt zumindest drei Probleme. Zum
einen werden seine finanziellen Mittel knapp, zum zweiten ist seine Ehe nur mehr
ein Schatten ihrer selbst und zum dritten liegt beides am Haus. Spezieller an
manchen Bewohnern des Hauses, die nicht fassbar, nicht körperlich im Raume
stehen und dennoch die Nerven Schritt für Schritt zermürben. Gespenster gehen
um. Sein Geschäftspartner Schinz hat da eine Idee. Ähnlich wie ein
durchfeuchtetes Haus trocken geheizt werden muss, ähnlich bietet er dem
verzweifelten Leu Trockenbewohner an. Drei junge Anwälte, deren einer der Sohn
des Bankiers Schinz ist, die den oberen Stock für eine Weile bewohnen und von
den Geistern ausnüchtern sollen.
Und so beginnt die Geschichte der Protagonisten und ihrer Verwicklungen in die
Zeit, die Geschichte, die Liebe und das Leben. 1970 beginnt der Einzug,
zeitmodern links bis kommunistisch sind die jungen Anwälte, die im Lauf der
Jahre vieles erleben. Von der freien Liebe bis zur prallen Erotik und echter
Sehnsucht, von dem Miteinander hin zu eigenen Wegen, von der Betrachtung der
Frage des Unterschiedes zwischen einem gelebten und einem ungelebtem Leben (ohne
klare Antwort). Allerdings eines gelingt den Bewohnern in der Zeitspanne von
1970 bis 2013 nicht, das trocken wohnen eben. Wie auch, wenn die Gespenster des
Hauses im Sinne des Autors eine allegorische Aufgabe in sich tragen im Blick auf
das Leben, wenn Wichtiges offen bleibt und ungelebt im Raume steht? Wenn die
Suche nach Glück, die das eigentliche Thema des Buches darstellt, eine über
den Tod hinausreichende sein mag?
Die Suche nach Glück, die auch die Nebenströme des Buches inhaltlich füllt.
Die Lebensgeschichte des Titelgebers, des Freiherrn von Hohensax (der ebenfalls
als Gespenst seinen Auftritt hat) wird ebenso erzählt, wie die eines ehemaligen
Astronomen. Endgültig vermischen sich die Zeiten und Ebenen des Buches durch
diese Nebengeschichten, die hier und da zu Hauptgeschichten werden. Denn die
berühmteste Minnehandschrift des Mittelalters, der Codex Manasse, war im Besitz
des Freiherrn und, da der Codex im Buch geöffnet wird, strömen auch die
Figuren des Codex durch die Seiten des Buches.
Viele Ebenen bietet Muschg in seiner Geschichte, Ebenen, die, obwohl
zeitgeschichtlich getrennt, dennoch durch die Leitfragen des Lebens miteinander
verbunden sind. Was ist Leben? Wo ist Glück? Immer wieder legt Muschg den
Finger auf die Wunde aller Zeiten, wie schnell das gehen kann, dass Chancen
vorbeiziehen, ungenutzt bleiben, vertändelt werden. Interessant, denn alle
Protagonisten des Buches haben im wirtschaftlichen Bereich wenig Sorgen. Im
Gegenteil, Erfolge stellen sich bei den jungen Anwälten bald ein, ein Erbe tut
ein übriges dazu, auch die Personen der Historie haben den Kampf um das
tägliche Brot nicht nötig. So kann Muschg ungestört vom alltäglichen
Lebenskampf den Fokus allein auf das richten, was ihn im Roman umtreibt, die
Frage nach gelebtem oder eben versäumten, ungelebtem Leben.
Fazit
Sprachlich ist das Buch über jeden Zweifel erhaben. Kraftvoll, bildhaft und
dennoch dem Jargon der entsprechenden zeit je angemessen, nutzt der Autor sein
feines Sprachempfinden und seine vielfältigen sprachlichen Möglichkeiten, um
das Gemeinte jeweils prägnant und klar mit allen mitschwingenden Assoziationen
und Emotionen auf den Weg zu bringen.
Dennoch verlangt das Buch hohe Konzentration ob der vielen Wege zwischen den
Zeiten und zwischen den Welten. Dann aber öffnet sich eine Gedankenwelt, die
mit dem Ende des Buches noch lange nicht abgeschlossen sein wird. Denn das
Jenseits erwartet auch die Protagonisten des Romans, ohne eine Form der ewigen
Ruhe in den Raum zu stellen. Über den Rand der Buchdeckel hinaus wird so der
Leser mit hineingezogen in diese existentiellen Fragen auch des eigenen Lebens,
die kaum zu beantworten sind und dennoch Tag für Tag nach Antwort rufen. Diese
Beunruhigung des Lebens ist Muschg vortrefflich gelungen und allein schon dafür
lohnt dieses, hochphilosophisch angelegte, Buch.
Vorgeschlagen von Lesefreund
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veröffentlicht am 01. Dezember 2010 2010-12-01 16:27:58