Vor über 900 Jahren, genauer gesagt im Jahr 1095, rief Papst Urban II. in
Clermont zur "bewaffneten Pilgerfahrt" ins "Heilige Land"
auf. "Deus lo volt" - Gott will es, soll die Masse der Anwesenden
gerufen haben, um die während des 7. Jahrhunderts von den muslimischen Arabern
eroberten ehemaligen oströmischen Gebiete für die Christen zurückzuerobern.
Es war der Beginn einer Bewegung, die heute als Kreuzzüge bezeichnet wird. Die
Kreuzfahrer eroberten 1099 tatsächlich nach vielen Strapazen Jerusalem,
richteten dort aber ein regelrechtes Blutbad an. Die Geschichte der (zunächst
vier) Kreuzfahrerstaaten war zwar nicht von einer permanenten Auseinandersetzung
mit den muslimischen Anrainerstaaten geprägt - tatsächlich gab es sogar Zeiten
einer bemerkenswerten Kooperation und gegenseitigen Toleranz -, doch stellt
diese Zeit ohne Zweifel eine ruhelose Epoche dar. Ende des 12. Jahrhunderts
schlugen die Moslems unter dem berühmten Feldherrn und Politiker Saladin
zurück und eroberten Jerusalem nach der vernichtenden Niederlage der
christlichen Truppen bei Hattin 1187. Anschließend waren die Christen in
Outremer - im Land jenseits des Meeres, wie es auch genannt wurde - endgültig
in der Defensive, 1291 fiel mit Akkon die letzte Kreuzfahrerfestung im Orient.
Die Idee der Kreuzzüge als solche war damals aber schon diskreditiert, nachdem
1204 Kreuzfahrer die christliche Stadt Konstantinopel (das heutige Istanbul)
erobert hatten und nachdem es im 13. und später im 14. Jahrhundert auch zu
Kreuzzügen gegen Christen kam.
Noch heute hat der Begriff Kreuzzug (aus nachvollziehbaren Gründen) einen
negativen Beiklang und wird oft polemisch gebraucht. Geschichtsvergessen auch
von dem ehemaligen US-Präsidenten George W. Bush, während im Nahen Osten die
Erinnerung an diese Zeit keineswegs ganz verschüttet ist. Aus historischer
Perspektive stellt die Epoche der Kreuzzüge ein interessantes und durchaus
wichtiges Forschungsgebiet dar, wie die Publikation zahlreicher Fachbücher zu
diesem Thema belegt: Von Runcimans noch heute lesenswerten Klassiker über
Settons Handbuchreihe bis zu Mayers kurzer, aber informativen Einführung,
Tyermans neuer Gesamtdarstellung und Riley-Smiths diversen Werken - um nur
einige Namen zu nennen.
Nun hat auch der britische Historiker Thomas Asbridge, der schon eine
wissenschaftliche Darstellung des 1. Kreuzzugs verfasst hat, eine
Gesamtdarstellung vorgelegt, die hier in deutscher Übersetzung anzuzeigen ist.
Asbridges Darstellung ist sehr umfangreich, was aber in Anbetracht des
darzustellenden Sujets nachzuvollziehen ist - obwohl Asbridge sich nur den
Kreuzzügen in den Orient widmet, die baltischen oder (späteren) italienischen
Kreuzzüge im 14. Jahrhundert aber ausblendet (ähnlich wie Mayer, anders als
Riley-Smith und seine Schüler). Auf über 700 Seiten breitet Asbridge ein
Panorama der damaligen Ereignisse aus. Beginnend mit einer Einleitung zur
damaligen Zeit - die m. E. aufgrund der starken Verkürzung weniger gelungen ist
und in der Interpretation durchaus anfechtbar ist -, folgt eine chronologische
Darstellung bis zum Ende der Orientkreuzzüge.
Hervorzuheben ist hier die synchrone Betrachtung bei Asbridge, der durchaus ein
Kenner der Materie ist und die Quellen (die in den letzten Jahren auch
verstärkt übersetzt wurden) gut ausgewertet hat. Sowohl der christlichen als
auch der arabischen Sicht der Dinge wird versucht Rechnung zu tragen, was ein
lobenswerter Ansatz ist. Ärgerlich ist nur, dass manche der (recht reichlichen
und auch lobenswerten) Quellenzitate nicht genau belegt sind - man wüsste gerne
die entsprechende Quellenausgabe oder wenigstens den teils ungenannten Autor.
Ansonsten ist die Schilderung aber sehr gut gelungen und ausreichend durch
Anmerkungen belegt, in denen auch die neuere Sekundärliteratur verarbeitet
wurde.
Asbridge scheint sich an Runcimans Epos gehalten zu haben, das wissenschaftliche
Gründlichkeit mit Schreibstil verbunden hat. Asbridge ist ähnlich
ausführlich, zu kritisieren ist jedoch, dass zwar die (wichtige) politische
Geschichte sehr breit ausgeführt wird, der Strukturgeschichte aber erkennbar
wenig Raum zugestanden wurde, was bisweilen bedauerlich ist. Die Wirtschafts-
und Kulturgeschichte gerät dadurch etwas unter die Räder, wenngleich sie auch
am Rande angesprochen wird. Allerdings ist dies eine Abwägungsfrage, zumal
Settons Werk (A History of the Crusades) dies angemessen berücksichtigt - und
dieses sogar kostenlos online zugänglich ist.
Zu loben ist bei Asbridge - neben der gut lesbaren und weitgehend sehr
zuverlässigen Darstellung - aber vor allem der Ansatz einer möglichst
"gerechten" Beurteilung, wobei er auch aktuelle Kontroversen
bezüglich der Rezeption der Kreuzzüge berücksichtigt und erkennbar darum
bemüht ist, eine möglichst verständliche Darstellung und Interpretation (die
teilweise freilich auch anfechtbar ist, etwa bezüglich der Bedeutung der
Kreuzzüge allgemein) zu bieten - die alles in allem durchaus gelungen ist und
zudem faktisch kein oder nur wenig Vorwissen voraussetzt.
Fazit
Dem Leser wird durch die breite Schilderung von Asbridge ein sehr plastisches
Bild der Ereignisse vermittelt, das freilich in Details angreifbar ist, aber
dies gilt für faktisch jede historische Darstellung. Der Stil der Darstellung
ist allgemein flüssig und gut lesbar, manche Formulierungen wirken aber um des
Leseeffekts wegen etwas zugespitzt ("Der Horror der Befreiung"), was
freilich eine Geschmacksfrage ist. Dennoch mindert dies nicht das
Lesevergnügen, denn Asbridge ist nicht nur ein guter Historiker, sondern auch
ein recht guter Autor - was leider nicht die Regel ist, obwohl die Vermittlung
von Wissen eigentlich auch auf letzteren Aspekt einen gewissen Wert legen
sollte.
Zu loben ist neben den vorhandenen inhaltlichen Qualitäten ebenfalls die von
Klett-Cotta gewohnt gute Aufmachung des Buches, mit angenehmen Schriftbild. Dem
Werk sind daher viele Leser zu wünschen, die aber Zeit mitbringen müssen und
sich darüber im Klaren sein sollten, dass in Einzelfragen andere
Interpretationen vorhanden und auch möglich sind.
Vorgeschlagen von B. Kiemerer
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veröffentlicht am 30. November 2010 2010-11-30 13:24:00