Unentrinnbare Beziehungen
Paul, Mitte Dreißig, Psychotherapeut, nicht unmaßgeblicher Teil eines
Geflechtes von Beziehungen, ist tot. Vordergründig ereilte ihn ein
Schlaganfall, bei genauerem Hinsehen allerdings entdeckt die Gerichtsmedizin
eine Fraktur des Schädels, die durchaus der Auslöser des Schlaganfalls gewesen
sein könnte. Woher stammt die Verletzung?
Das ist die Frage, der der leitende Ermittler, Kommissar Klaus Kreitmeier,
nachgeht.
Was allerdings auf den ersten Blick wie das klassische Sujet eines Krimis
daherkommt, wendet sich schnell zu einer Betrachtung von Persönlichkeiten und
Beziehungen untereinander in einem ganz andrem als dem gewohnten Stil. Christa
Bernuth erzählt die Geschichte des Todes und der Verletzung aus beständig
wechselnder Perspektive und, in diesen, fast ausnehmend aus der Innensicht der
verschiedenen Protagonisten her. Protagonisten, die alle in der ein- oder
anderen Form mit Paul und untereinander vernetzt waren und sind. Beziehungen,
die unter der Oberfläche ebenso brodeln, wie es in den Personen selbst brodelt.
Gina, vorgeblich rein platonische, beste Freundin von Paul, zerrissen in ihrem
eigenen Leben als durchaus erfolgreiche Malerin, trägt schwer an der Last ihrer
langweiligen Vergangenheit und ihrer Sucht zur Intrige. Pilar, Geliebte Pauls,
seit langem wartete sie auf einen Antrag von seiner Seite und spürt eine um
sich greifende Ermattung im Leben wie in ihrem Beruf als Lehrerin. Zudem
entgleist ihr 16jährigen Sohn mehr und mehr. Barbara, gerade von Manuel
verlassen, schleicht wie ein Gespenst ihrer selbst durch die Seiten des Buches
und hat dennoch ungeahnte Tiefen in sich, nicht erst seit Neuestem, schon als
Kind hatte sie eine ungeahnte Nähe zum Feuer. Manuel, erleichtert und wie
befreit sich fühlend, kann doch seiner schwierigen Beziehung zum Vater nicht
entfliehen und auch mit Paul gibt es ein Verbindung, die aber lange im
ungefähren verbleibt. Alex, der außerordentlich betont, dass er Paul
eigentlich gar nicht kannte, so sehr betont, dass mehr Fragen entstehen als
beantwortet werden, versinkt in seinen spirituellen und spiritistischen Gedanken
und Seminaren. Manuels Mutter, Martha, wiederum, erlebt hilflos die Auflösung
der Ehe Manuels mit und wir heimgesucht von Erinnerungen an Kriegszeiten, Flucht
und die vielen Verstorbenen Ihres Lebens. Innere Betrachtungen von Figuren, die
an Intensität nichts zu wünschen übrig lassen. Selbst der ermittelnde
Kommissar wird von dieser Art der Betrachtung nicht ausgneommen.
Sie alle stehen in Beziehungen zueinander und sie alle kannten Paul, in der ein-
oder anderen Weise. Alle Figuren sind von widersprüchlichen Gefühlen
durchzogen, Liebe und Hass liegen nah beieinander und irgendwo zwischen all dem
liegt das Motiv für die Schädelverletzung Pauls, ein Motiv und ein Hergang der
Tat, die lang im unklaren bleiben. Eine Tat, an der allerdings alle Figuren
ihren Teil an Beteiligung und Schuld zu tragen haben.
Christa Bernuth schreibt mehr ein Psychogramm denn einen Krimi, über weite
Strecken des Buches verbleibt der Tod Pauls weit im Nebenbei. Die einzelnen
Personen aber sind in ihrer Geschichte, ihrer inneren Zerrissenheit und
Ermattung und in ihrer gegenseitigen Beziehung minutiös und hautnah
dargestellt. Durch den ständigen Wechsel der Perspektive entsteht ein
umfassendes Puzzle, dessen einzelne Teile erst langsam und immer auf der inneren
Ebene der Protagonisten beschreiben zusammenfallen.
Fazit
Ein Buch, das seine Stärken in der intensiven Schilderung der Figuren besitzt
und in der Form anregende, überraschende Wege in der Darstellung der Geschichte
geht. Ein Wehrmutstropfen ist der Verlust von Spannung im Blick auf den
eigentlichen Todesfall im Buch, die Auflösung dieses Falles steht letztendlich
nicht im Vordergrund. So muss man wissen, worauf man sich einlässt, wird aber
in der inneren Darstellung von tiefgreifenden, emotionalen Zuständen durchaus
gut bedient. Ein Krimi oder Thriller im eigentlichen Sinne ist dieses Buch
allerdings nicht, auch wenn der Hergang der Tat letztendlich aufgelöst werden
wird.
Vorgeschlagen von Lesefreund
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veröffentlicht am 28. November 2010 2010-11-28 14:24:37