John C. G. Röhl ist
"der" Historiker des deutschen
Kaiserreiches. Neben der sehr verdienstvollen Studie von
Volker Ullrich, "Die nervöse
Grossmacht", stellt diese Studie, die zentrale Aufsätze Röhls über die
Person Wilhelms II., seinen Freund Eulenburg, über Hof und Hofgesellschaft
unter Kaiser Wilhelm II., einen Aufsatz über den "Königsmechanismus"
im Kaiserreich, einen Aufsatz über die höhere Beamtenschaft im wilhelminischen
Deutschland, einen Beitrag über Glanz und Ohnmacht des deutschen diplomatischen
Dienstes und über den militärpolitischen Entscheidungsprozeß in Deutschland
am Vorabend des Ersten Weltkrieges vereint, einen unvergleichlichen Einblick in
die Geschichte und soziale Struktur des deutschen Kaiserreiches dar. Röhl
beweist, dass biographische Betrachtung und Sozialgeschichte sich nicht
ausschließen, sondern fruchtbar vereinbaren lassen. Anknüpfend an Studien von
Norbert Elias zur höfischen Gesellschaft oder an Isabel V. Hulls "The
Entourage of Kaiser Wilhem II." zeigt er, dass es letztlich die Person des
Kaisers war, auf den das "persönliche" Regiment hinauslief.
Letztendlich trug er die Verantwortung für die Entscheidungen in seinem Reich
und sah sich als absolutistischen Herrscher - im Gegensatz zu seinem Großvater,
der Bismarck das Zepter überlassen hatte und als repräsentatives
Staatsoberhaupt sich damit begnügte, konstitutionell zu regieren. In seinem
Beitrag über Eulenburg zitiert Röhl die "Graue Eminenz" des
Auswärtigen Amtes, Friedrich von Holstein, Wilhelm II. benehme sich, als lebe
er in der Zeit vor 1848, er werde bald autokratischer sein als der Zar (S. 34),
im ersten Abschnitt, in dem er eine Biographie Wilhelms II. vorlegt, zitiert er
diesen, er werde jeden Gegner zerschmettern.
Zwar war der Kaiser unsicher, impulsiv und sicherlich ein Getriebener, dennoch
war er, wie der "Königsmechanismus" im Kaiserreich zeigte, die
zentrale Figur und führte ein "persönliches Element." Er weist
anhand der verfügbaren Primärquellen nach, dass - trotz der Abwesenheit des
Reichskanzlers Bethmann-Hollwegs, bereits 1912, im berüchtigten
"Kriegsrat" vom 8. Dezember des Jahres, der Weg in den Krieg
festgelegt wurde - entgegen den Auffassungen Mommsens, Turners und Baumgarts -
den Kaiser also eine Mitschuld und Mitverantwortung an diesen Entscheidungen
trifft. Volker Ullrich dokumentiert den Meinungsstreit der Historiker in seinem
oben zitierten Werk, neigt aber eher der Meinung Mommsens zu. Röhl zeigt aber,
dass Reichskanzler Bethmann unmittelbar nach dem "Kriegsrat" über
diese Ergebnisse informiert wurde - über die militärpolitischen Fragen wurde
er hingegen nicht informiert, da nach Ansicht der Militärführung die zivile
Reichsleitung die "militärpolitischen Fragen" nichts angingen - ein
erschütterndes Dokument, wie sehr das Militär die Politik dominierte -
besonders - wie Röhl nachweist, seit der "Daily Telegraph"-Affaire
von 1908. Hier wurde die Chance, die Macht des Monarchen einzugrenzen und auf
eine konstitutionell-parlamentarische Regierungsweise umzuschwenken, vertan. Die
Folgen sind bekannt und führten zu Weltkrieg und Untergang des Kaiserreiches.