Zweiklassenmedizin
Endlich, möchte man sagen. Endlich wird eines der offenkundigsten und
drängendsten Themen des Gesundheitsbereiches, das immer wieder in wohlfeilen
Worten abgeleugnet wird, in einer verständlichen und lesbaren Form klar
benannt.
Dass es einen Unterschied in der medizinischen Versorgung gibt, je nachdem, in
welcher Weise man als Patient versichert ist, dass fällt jedem auf, der in
einem Wartezimmer als Kassenpatient seine Zeit absitzt (Ausnahmen von der Regel
sind natürlich bei manchen Ärzten ebenfalls erlebbar).
Aber wieweit diese Unterschiede wirklich reichen, wie sehr die Worte von der
medizinischen Bestversorgung auch für Kassenpatienten nichts als hohle Worte
sind, dass hat Christoph Lohfert gründlich recherchiert und äußerst
verständlich formuliert. Arm und krank gegenüber reich und gesund, der Titel
eines der Kapitel bringt es auf den Punkt. Einen Punkt, den Lohfert nicht nur
plakativ behauptet, sondern den er über die knapp 300 Seiten des Buches Seite
für Seite nachweist und belegt. Seit Jahrzehnten bereits ist der Autor als
Berater für Kliniken beruflich unterwegs, er kennt von der Innenseite her die
Welt der Medizin und medizinischen Versorgung, von der er spricht. Eine
Kenntnis, die man dem Buch in jeder Phase des Lesens anmerkt.
Allein schon der Eindruck von der durchaus nicht unantastbaren Würde des
Menschen im Krankenhausbetriebt, der allein schon von der Vorderseite als
Patient und Angehöriger entsteht, erhält eine erschreckende Vertiefung durch
die Schilderungen Lohferts über die Abläufe und die Betrachtung des Patienten
rein als Funktion des Systems hinter den verschlossenen Türen der medizinischen
Abteilungen und die systemimmanente Kommunikationsschwäche dem Patienten
gegenüber. Viel eher stehen betriebswirtschaftliche und ärztliche Interessen
im Vordergrund der Versorgung als dass es in Atmosphäre und Maßnahmen allein
um das Wohl des Pateinten ginge. Gut gestellt ist, wer hier über genügend
finanzielle Mittel verfügt, sich der Schablone des Normal-Patienten zu
entziehen.
Erkenntnisse, die Lohfert auch im weiteren Verlauf des Buches ausweitet und
offen legt, die letztlich darin kulminieren, dass ein medizinisches System,
welches zu einem hohen Maße auf finanziellen Anreizen beruht und wie eine
Melkkuh vor Augen steht, vom Grundsatz her bereits Erschwerungen für normale
oder eher arme Patienten in sich trägt. Erschwerungen, denen Patienten in der
Regel ohnmächtig gegenüber ausgeliefert sind und die nicht in erster Linie von
Patientenseite her verändert werden können.
Notwendige Veränderungen stehen an, die Lohfert ebenfalls benennt. Er bleibt
nicht bei der billigen Klage an sich stehen. Kompetent verweist er im letzten
Teil seines Buches auf mögliche Auswege, die, unter durchdachten und mutigen
politischen Impulsen auf den Weg gebracht, eine Veränderung des Systems
bewirken würden. Veränderungen, die nicht nur allein im Blick auf die Finanzen
politisch gesteuert werden können, soll wirklich etwas bewirkt werden (und
selbst diese Steuerung ist ja lächerlich laienhaft zur Zeit).
Am Ende des Buches wird jedem unbefangenen Leser deutlich, dass diese
Veränderung in der Organisation und den dahinterliegenden Denkstrukturen
ansteht, um eine auch nur durchschnittliche medizinische Versorgung auf den Weg
zu bringen.
Fazit
Ein Buch, dass nicht Angst schürt, sondern Probleme klar und prägnant
aufzeigt, sowie mögliche Lösungen dieser Probleme skizziert. Für jeden Leser
ein Gewinn, um die eigene Mündigkeit im Medizinbetrieb zu stärken und für
jeden verantwortlich Handelnden im medizinischen Bereich sollte das Buch eine
Pflichtlektüre sein und sei es auch nur, um die Situation des Patienten besser
verstehen zu können.
Vorgeschlagen von Lesefreund
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veröffentlicht am 10. Oktober 2010 2010-10-10 14:33:24