Gestern habe ich mir das eben neu erschienene Buch: "Ausgekocht":
Hinter den Kulissen hessischer Machtpolitik aus dem Eichborn-Verlag angeschafft
und gleich gelesen
Die Autoren, Pitt von Bebenburg und Matthias Thieme arbeiten oder arbeiteten als
Journalisten der Frankfurter Rundschau. Thieme hat für seine Recherchen zur
UNICEF-Affäre den Wächterpreis der Tagespresse erhalten. Für seine
Enthüllungen über Politiker der hessischen Landesregierung erhielt Thieme 2009
den hessischen Journalistenpreis.
Das Buch bietet einzigartige Einblicke in das "System Koch". Über
Jahrhzehnte hat die sogenannte "Tankstellen-Clique", benannt nach
íhrem angeblichen Treffpunkt an einer Tankstelle um Roland Koch und seinen
Nachfolger Volker Bouffier die Regierungsübernahme im einstigen SPD-Land Hessen
geplant, umgesetzt und erfolgreich zementiert. Auch nach dem Abgang Kochs lebt
sein "System" nach wie vor - denn wie man Skandale aussitzt, Gegner
mundtot macht, beherrscht auch Nachfolger Volker Bouffier, wie am derzeit im
Landtag diskutierten "Polizeiskandal" - der jetzige Ministerpräsident
besetzte die Stelle des Polizeipräsidenten nach seinen persönlichen Wünschen
und nahm dabei offensichtlich Rechtsbruch in Kauf - deutlich wird.
Beide Journalisten analysieren anhand der größten Skandale um Koch und
Bouffier, wie dieses System der Vetternwirtschaft und Klüngelei funktioniert
und es wird nach der Lektüre des Buches klar, warum sich unter dieser Regierung
daran nichts ändern wird.
"Wer ihr Denken und Handeln begreifen will, braucht nur eine knappe Notiz
zu lesen: Sie umfasst gerade acht Zeilen inklusive Überschrift, doc h in diesen
Zeilen steckt die Essenz der politischen Welt von Roland Koch und Volker
Bouffier. Sie sind in einem wenig gelesenen Werk abgedruckt, dem Staatsanzeiger
für das Land Hessen. Versteckt auf Seite 1682 ist dort im Jahre 2005 eine
knappe Mitteilung erschienen: Roland Koch verleiht an drei seiner Minister den
Hessischen Verdienstorden.
Man muss sich das vorstellen: Ministerpräsident Koch hängt seinen engsten
politischen Freunden Volker Bouffier und Karlheinz Weimar, seinerseits Innen-
und Finanzminister, sowie dem damaligen Justizminister (und heutigen
CDU-Fraktionschef im Landtag, B.N.) Christean Wagner das rote Kreuz mit dem
goldenen Hessen-Löwenb am blauen Band um. Im Namen des Landes Hessen, versteht
sich. Vorschlagsberechtigt für die Ordensträger: der Ministerpräsident und
seine Minister. Also die Preisgekrönten selbst."
.
Diese Episode - auf Seite 32-33 des Buches dargestellt - macht vieles der in
diesem Buch ausführlich rekapitulierten Skandale der Regierung Koch
begreiflich. Mich erinnern sie an die Breschnjew-Ära. Wie oft konnte man den
senilen langjährigen sowjetischen Staats- und Parteichef dabei beobachten, wie
er auch seinen Kollegen im Politbüro Orden umgehängt hat.
Das Fazit dieses Kapitels ist daher auch eindeutig:
"Das System Koch weckt Erinnerungen an längst versunken geglaubte,
vordemorkatische politische Zustände. Duodezfürsten konnten nach Guddünken
ihre Getreuen auszeichnen oder bestrafen. Doch solche Vergleiche kommen nur
uneinsichtigen Regierungsgegnern in den Sinn. Koch-Sprecher Dirk Metz jedenfalls
findet die Ordensverleihung an die Minster "völlig normal." Kochs
engster Ratgeber hat Recht, wenn auch in einem anderen Sinne, als er es meint.
In einer normalen demokratischen Kultur wären solche Zustände undenkbar. Im
System Koch allerdings sind sie der Normalzustand."
.
Das Buch liest sich wie ein Polit-Krimi und ist spannend von der ersten bis zur
letzten Seite. Auch mir war bislang zwar bekannt, wie Koch und seine Regierung
mit kritischen Medien umgehen (der "Fall Bender", die Ablösung des
Koch unangenehmen ZDF-Chefredakteurs im Frühjahr dieses Jahres hat dies ja
dokumentiert und wurde hier im Forum ja auch vorgestellt), aber auch ich war von
dem Ausmaß, wie Koch die Medien drangsaliert hat,wie kritische Zeitungen, etwa
die "Frankfurter Rundschau", eingeschüchtert worden sind und der HR
unter seinem Chefredakteur Alois Theisen, laut den beiden Autoren auch
"schwarzer Taliban" genannt, zu einem de-facto Koch-Staatssender
ausgebaut worden ist, überrascht.
Dieser Chefredakteur verfügte im Februar 2008, zwei Wochen nach der
Landtagswahl, bei der Koch seine Mehrheit (zunächst) verlor, der HR dürfe
nicht über eine Umfrage berichten, nach der nur noch ein Drittel der Befragten
Koch als Ministerpräsidenten haben wollte. Der HR solle "nicht auf jede
noch so blödsinnige und methodisch zweifelhafte Meinungsumfrage eingehen",
soll Theisen laut Süddeutscher Zeitung damals geschrieben haben, obwohl es sich
um eine Umfrage im Auftrag der ARD handelte. Der gleiche Chefredakteur hatte
keinerlei Problem damit, negative Umfragen über Kochs SPD-Gegenkandidatin
Andrea Ypsilanti zu veröffentlichen.
Zweites Beispiel: Als Roland Koch nach der Landtagswahl sein Versprechen eines
Nachtflugverbotes am Frankfurter Flughafen bricht (der Wortbruch Andrea
Ypsilantis wird von den Koch-Medien hingegen genüßlich ausgebreitet),
überträgt das HR-Fernsehen die Plenardebatte des Landtags. Allerdings nur bis
zur Rede von Koch. Danach bricht der HR die Übertragung ab und zeigt eine
Heimatsendung statt der beißenden Oppositionskritik im Parlament. Natürlich
gab dies Ärger:
"Dass das kubanische Staatsfernsehen nach den Reden des "Maximo
Leader" die Übertragung beendet, wussten wir", kommentiert Matthias
Wagner, parlamentarischer Geschäftsführer der Grünen, "im öffentlich
rechtlichen Rundfunk ist das aber eine neue Entwicklung." Die Entscheidung
des HR berühre das Selbstverständnis des Parlaments, urteilt der
parlamentarische Geschäftsführer der SPD, Günter Rudolph. Der Landtag sei
nicht die Bühne der Regierung, sondern Ort der Debatte. Den anderen Fraktionen
in der Liveübertragung das Wort abzuschneiden sei eine nicht nachvollziehbare
Entscheidung. Der HR sieht dies allerdings anders: Man habe "geschätzt,
wie lange die Debatte danach noch dauern würde und befrüchtet, dass es weit
über unsere Sendung hinausgeht", so der Sprecher. Landtagsdebatten seien
sowieso "Quotenkiller"
.
Diese und andere Begebenheiten illustrieren, wie das "System Koch" das
Land Hessen verändert hat und meines Erachtens auch, wie notwendig ein
Regierungswechsel in diesem Land wäre. Auch die Medienkampagne gegen Andrea
Ypsilanti wird nachgezeichnet, wie auch alle Affären der Regierung nochmals
ausführlich erläutert werden - das Publikum scheint ja vergesslich zu sein.
Was mich allerdings am meisten interessiert hat: es werden die Gründe für
Kochs überraschenden Rücktritt untersucht. Zwar wird nicht ausgeschlossen,
dass Koch in der Wirtschaft einfach mehr verdienen wolle und einfach amtsmüde
als hessischer Ministerpräsident gewesen sei. Aber es wird nicht ausgeschlossen
- und durchaus treffend begründet - dass Koch mit seinem Rücktritt noch andere
Ziele verfolgen könne: sich besser als Alternative in der Union für eine
Nach-Merkel-Zeit (spätestens nach 2013) zu positionieren. Nicht umsonst wird
auf Kochs Freundschaft mit dem amerikanischen Weltbankpräsidenten Robert
Zoellick verwiesen: "Was Koch an dem Präsidenten der Weltbank fasziniert,
ist die Tatsache, dass Zoellick ohne Probleme von der Wirtschaft in die
Regierung und zurück wechseln konnte." Zumindest solle man dem
52-jährigen Koch nicht unterstellen, er könne sich keine weitere Lebensphase
im Regierungsamt vorstellen - so die beiden Autoren. Sein kühler Kommentar auf
den - fast gleichzeitig mit seiner eigenen Rücktrittsankündigung erfolgten -
Rücktritt des früheren Bundespräsidenten Horst Köhler, habe dies gezeigt:
Nur drei dürre Sätze fand Koch zu diesem Ereignis: Man sei Köhler "zu
Dank verpflichtet" ließ Koch erklären. Die etwas verkrampfte Suche nach
den Gemeinsamkeiten der großen "Ks" verdecke den Umstand, dass die
Unterschiede zwischen den Rücktritten Kochs und Köhlers viel bemerkenswerter
seien.
"Niemand käme auf die Idee, von einem System Köhler zu schreiben, im
Gegenteil. Es ist viel eher seine Einsamkeit im Amt, ohne den Halt langjährige
politischer Freunde mit Einfluss, die den Abgang des Bundespräsidenten
beschleunigt hat. Köhler hat quasi als Anit-Koch Karriere gemacht, ist als
Außenseiter von jenseits der politischen Eliten ins Amt geholt worden, als
Zeichen gegen die ungeliebte Parteienherrschaft. Koch dagegen ist seit
Kindheitsbeinen [wie sein großes Vorbild Helmut Kohl, B.N.] mit seiner CDU
verwachsen und setzt als Köhler-Nachfolger einen Kumpel durch, der ebenso klar
der etablierten politischen Klasse angehört wie er selbst: Christian Wulff aus
Niedersachsen
Der wichtigste Gegensatz zwischen Köhler und Koch aber liegt in dem ganz
unterschiedlichen Maß an Freiwilligkeit zwischen den Rücktritten. Wenn Roland
Koch aus Zwängen zurückgetreten sein sollte, dann hat er das jedenfalls sehr
erfolgreich verbergen können. Koch ist nicht über einen senier vielen Skandale
gestürzt, hat sich nicht von der Opposition oder innerparteilichen Widersachern
zum Rückzug drängen lassen und sich auch nicht Knall auf Fall davongemacht wie
Horst Köhler. Sein Rücktritt ist ein durchtriebenes Meisterstück im System
Koch - und damit die beste Voraussetzung dafür, dauch den Zeitpunkt seines
Wiedereinstiges selbst wählen zu können. Im Moment seines freiwilligen
Rücktritts dämmert allen, dass dieser skandalgeschüttelte Politiker keinen
erzwungenen Rücktritt mehr zu befürchten hat. "Es hätte ja nun wirklich
bei mir auch anders kommen können", diktiert der Ministerpräsident den
Journalisten zum Abschluss in die Blocks. Der Abgang wird zum Triumpf.
"Koch will weg" hört sich einfach besser an als "Koch muss
weg.""
"Ich bin der erste hessische Ministerpräsident, der aus souveräner
Entscheidung das Amt aufgibt", sagt Koch. Im Beruf des Ministerpräsidenten
sei es "etwas Besonderes, selbst entscheiden zu können, wann es genug
ist."
Ganz offensichtlich - dies sind meine Gedanken dazu, im Buch selber wird dies
eher kursorisch angesprochen - hat Koch folgende Überlegung angestellt: Geht er
jetzt freiwillig, kann er sich als Alternative zu Angela Merkel in der CDU
aufbauen. Verliert Frau Merkel die Wahl 2013 oder tritt sie früher entnervt
zurück, dann werden in der CDU die Rufe nach der "Alternative", nach
dem "Konservativen" immer lauter. Nicht umsonst publiziert Koch gerade
ein Buch, in welchem er seine Sicht von "Konservatismus" beschreibt
Wäre er hingegen hessischer Ministerpräsident geblieben, hätte er gegenüber
Frau Merkel bis zur Selbstverleugnung loyal sein müssen. Er wäre entweder im
Herbst 2013 - dann finden nicht nur die Bundestagswahl, sondern es findet auch
die nächste reguläre hessische Landtagswahl statt - vermutlich abgewählt
worden und dann wären seine Chancen, Frau Merkel als CDU-Chef zu beerben,
minimal gewesen. So wartet m.E. jemand auf seine Chance, doch noch sein großes
Ziel zu erreichen: CDU-Bundeschef nach 2013 zu werden, dann, wenn eine
rot-grün(-rote) Regierung scheitern sollte, spätestens 2017 Kanzlerkandidat
und Kanzler werden?
Zumindest sollte man diese Überlegungen im Blick behalten.
Fazit
Was für ein Politiker uns dann regieren könnte, wie gesagt: könnte, nicht
muss, dies zeigt in eindrucksvoller Weise das vorliegende Buch.
Vorgeschlagen von Bernhard Nowak
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veröffentlicht am 10. Oktober 2010 2010-10-10 12:05:58