Jagd auf die Jäger
Jussi Adler-Olsen schickt sich an, die Reihe der qualitativ hochwertig
schreibenden Thriller Autoren aus dem Norden Europas langfristig und dauerhaft
zu bereichern.
War schon sein Roman Erbarmen ein großer Erfolg und ein hervorragend
gestalteter Kriminalthriller, so liegt auch mit seinem zweiten Buch Schändung
eine sprachlich und stilistisch überzeugende Geschichte menschlicher Abgründe
nun vor, der mit lebendig und differenziert gezeichneten Figuren sich eines
alten Thema annimmt. Dass manche Menschen sich immer schon über alle anderen
erhaben gefühlt haben und daher gesellschaftliche Regeln für sich nicht
akzeptieren, sondern ihren jeweiligen inneren Gelüsten freien Lauf lassen im
Gefühl der Unverwundbarkeit. In ganz direkter Weise ihrer Freude an der Jagd
auch auf ganz anderen Ebenen nachgehen, als es diese im gewohnten Sprachgebrauch
des Wortes eigentlich vermuten lassen.
Adler-Olsens Protagonisten nähern sich diesem Fall auf ihre je eigene
persönliche Weise, von je ihrem Charakter geprägt und geführt. Charaktere,
die der Autor überzeugend gestaltet, mit erheblicher Tiefe versieht und
kongenial zusammenstellt.
Carl Morck, Leiter der Sonderkommission, grüblerisch, in sich zerrissen, einer,
der immer noch nach einem tragfähigen Grund für das Leben in sich selbst
sucht, aber mit einem ausgeprägten Sinn für Gerechtigkeit, einer starken
Abneigung gegen autoritäres Verhalten und mit einer seltenen Hartnäckigkeit
bei der Verfolgung seiner Zeile ausgestattet. Die perfekte Besetzung der Leitung
der Sonderkommission für lange ungeklärte Fälle.
Unterstützt wird Morck von seinem Assistenten Hafez El-Assad, Sinnbild
orientalisch tiefer Ruhe und allgegenwärtiger Freundlichkeit, dem allerdings
dienstliche Vorschriften und Regeln, wenn es darauf ankommt, höchstens als
Buchstaben auf Papier erscheinen, nicht als zu befolgende
Verhaltensaufforderungen. Und in dessen Inneren durchaus noch andere Seiten zu
finden wären. Neben seiner Hartnäckigkeit der Lösung eines Falles
gegenüber.
Neu hinzu tritt als Assistentin Rose Knudsen, die durchsetzungsfähig und
stringent zunächst für gereizte Nerven bei Calr Morck sorgt, deren wichtige
Hilfe aber im Laufe der Geschichte von Seite zu Seite deutlicher wird.
Assad ist es, der den alten Fall, um den es geht, beharrlich in das Bewusstsein
seines Vorgesetzten rückt. 20 Jahre ist es her, dass ein Geschwisterpaar
bestialisch gequält und ermordet wurde. Eine Clique von Freunden soll damals
beteiligt gewesen sein, vielerlei Unklarheiten stehen im Raum. Unklarheiten, die
unklar bleiben sollen, geht es nach dem alten Freundeskreis, dessen Mitglieder
mittlerweise an höchsten Stellen der Gesellschaft sitzen und alles dafür in
Bewegung setzten, Carl Morck seine Recherchen einfach untersagen zu lassen. Ohne
zu ahnen, dass man Morck besser nicht mit unbegründeten Vorschriften kommt.
Hinzu sieht sich die Clique einem weiteren Feind aus der Vergangenheit
gegenüber. Kimmie Lassen war einmal ein Teil des Kreises, bevor ihre
vermeintlichen Freunde ihr übel mitgespielt haben. Sie macht aus Jägern
Gejagte. Oder wer sonst stellt die aktuelle Bedrohung für diese Jäger des
Lebens dar?
Jagd nämlich ist das Lieblingshobby der einflussreichen Freunde, Treibjagden
auf privatem Besitz mit ganz besonderem Wild.
Schritt für Schritt und Seite für Seite kommt Carl Morck und seine
Sonderkommission dieser Welt aus Überheblichkeit, Grausamkeit und einer
arroganten Ignoranz allen sozialen Regeln gegenüber näher bis zu fesselnden
und blutigen Ende des Buches.
Fazit
Letztlich ein Buch, dass man in einem Rutsch durchliest und sich kaum lösen
kann. Nicht die überraschenden Wendung, wie in vielen anderen Thrillern, ist
es, die den Leser in Atem hält, sondern die akribische Darlegung der
Verhältnisse, der unglaublichen Ignoranz und Überheblichkeit der Täter, die
für eine ganze Lebenshaltung weit über das Buch hinaus steht. Adler-Olsen
selbst zieht mit feinen hintergründigen Hinweisen die Parallele zur modernen
Gier-Gesellschaft und denen, die ohne Rücksicht auf andere ganz oben schwimmen.
Ein oben, was es eben nur geben kann, wenn man moralische Regeln am besten nie
gelernt hat.
Vorgeschlagen von Lesefreund
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veröffentlicht am 24. September 2010 2010-09-24 16:50:04