Zahnheilkunde
Die Beobachtung der Autoren ist stimmig, spätestens in der zweiten
Lebenshälfte neigen Menschen dazu, die Vergangenheit in warmen Farben zu
betrachten und die Gegenwart mit kritischen Augen. Doch bei aller versuchten
Verklärung von "Früher", benötigen die Autoren nur ein Wort, um
diesen verklärten Blick gründlich zu entzaubern, "Zahnheilkunde".
Wer will wirklich noch einem Zahnarzt beim Betätigen seines Tretbohrers vom
Folterstuhl her zuschauen müssen und wissen, dass dieser sich langsam drehende
Bohrer mitsamt der mageren Betäubung gleich für erhebliches Unbill im Mund
sorgen wird?
Früher war alles nicht besser, soweit geht es somit nicht, es war einfach
anders und, für die entsprechende Generation, prägend und kann mit einer
gehörigen Portion Ironie, aber auch Nostalgie nun ohne weiteres von den vier
Journalisten in Form eines kleinen Lexikons von A bis Z einer höchst
vergnüglichen Betrachtung zugeführt werden.
Von A wie Adenauer bis Z wie Zigarettenspitze reicht der Reigen des Blickes in
die Vergangenheit. Der Wohlstandsbauch wird ebenso einer zuspitzenden (oder
wörtlich umfangreichen) Betrachtung zugeführt, wie wir Perlon Strümpfen,
Käseigeln und der Raumpatrouille Orion in auf den Punkt gebrachter Weise wieder
begegnen. Dass Bonanza aufgrund seiner Brutalität 1962 von der ARD nicht mehr
gesendet wurde und ein nackter Busen zu Zeiten durch schwarze Balken abgedeckt
werden musste ist umgehend wieder der Erinnerung präsent, folgt man den mal
kurzen, mal breiteren Einlassungen und oft humorvoll zuspitzenden Betrachtungen
der Autoren.
Autofreie Sonntage, Gammler, Muckefuck, Margarine, Petticoat, das Lebend er
50er, 60er und 70er Jahr (im Schwerpunkt) tauch in bunten Farben wieder auf und
bietet Grund für Vergleiche, Nostalgie, Erinnerung, aber auch Freude über
viele Fortschritte bis zur Gegenwart hin. Gut, dass der Club of Rome letztlich
nie Recht hatte mit seinen Untergangsprophezeiungen und entspannend, die
statistischen Betrachtungen vor Augen zu haben, dass heut zu Tage tatsächlich
vieles besser ist, als es damals war.
Alle vier Journalisten verstehen ihr Handwerk des Schreibens (eine Wohltat in
Stil und Ausdruckskraft) und setzen je persönlich stilistisch nuanciert ihre
Beobachtungen mit Ironie und Sprachwitz in den Raum, ohne dabei in allzu simple
Strukturen abzufallen (erfreulich).
Fazit
Mit Humor, sprachlicher Qualität und einer auf den Punkt bringenden Klarheit
der Beobachtung und Erinnerung bietet das Buch eine nicht nur unterhaltsame,
sondern auch informative und, in Teilen, nostalgische Reise in die Vergangenheit
der Republik und damit auch in die persönliche Erlebniswelt der über
40jährigen.
Vorgeschlagen von Lesefreund
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veröffentlicht am 24. September 2010 2010-09-24 16:49:34