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Alex Rühle: Ohne Netz

Ohne Netz

von Alex Rühle
Verlag: Klett-Cotta Verlag [mehr Bücher von diesem Verlag zeigen]
Sparte: Sachbuch
ISBN-13 978-3-608-94617-8

Preis: 2,42 Euro bei Amazon.de [Stand: 22. Dezember 2024]
Zerfasernde Schnelllebigkeit

Seit Jahr und Tag tauchen Berichte über Folgen, Chancen und Gefahren des Internets und des Lebens in einer hoch vernetzten Welt in aller Regelmäßigkeit auf. Bei allem Tiefgang einer ganzen Reihe der Betrachtungen bleiben all diese Reportagen, Betrachtungen und wissenschaftlichen Untersuchungen vor allem eines, nämlich eher abstrakt und theoretisch.

Alex Rühle, Redakteur der SZ, ist den anderen, folgt man dem Buch, ungleich härteren Weg gegangen. Aus persönlichen Gründen hat er für ein halbes Jahr auf den Zugang zum Internet und die Nutzung seines treuesten Begleiters, des Smartphones, verzichtet.
Er, der Feiern, Feste, durchaus auch in Urlauben zum Leidwesen seiner Familie wie ein Junkie des Öfteren heimlich auf Toiletten verschwand, um seinen Blackberry zu prüfen, der weite Fußwege an entlegenen Urlaubsorten auf sich nahm, um das nächste Internetcafe (natürlich heimlich) anzusteuern, hat sich freiwillig ins Off gestellt.

Selten wurde, sprachlich hoch versiert und in durchaus persönlicher, erzählerischer Form, aus der Praxis heraus ein solch differenziertes Bild auf den Umgang mit vernetzten Medien geworfen. Wie ein zusammenfassendes Bild steht die Geschilderte Begegnung mit einer Ente hierfür im Raum. Jene Ente, die sich mit dem Fuß in einem Draht verfangen hatte, vom Autor befreit wurde und mit eher beleidigtem Gesichtsausdruck von dannen flog.
In gleicher Form hat der Autor seinen Fuß für sechs Monate zwar aus der Schlinge gezogen, aber sich nicht freudig befreit erlebt, sondern wie abgeschnitten vom "eigentlichen Leben" seiner Kollegen und Freunde, das hochgradig per Email sich niederschlägt.

In seiner Begegnung mit einem Häftling, der tatsächlich intensive Entzugserscheinungen nach Abgabe seines Blackberrys eindrücklich schildert, wird dem Leser mehr und mehr die tiefgreifende Veränderung auch der eigenen Person und des inneren Erlebens durch Internet und ständiger, mobiler Vernetzung der heutigen Zeit bewusst. Der Soziologe Rosa verweist im Interview auf die unermesslich angewachsene Termindichte, befördert durch ständige Erreichbarkeit und Vernetzung und sieht sich einer allgemeinen "Temporalinsolvenz" gegenüber.

All dies lässt eine Veränderung und innere Unruhe folgen, die Rühle bestens in Worte zu fassen versteht und die durch seinen unaufdringlichen Humor und seine feine Ironie auch sich selbst gegenüber ohne moralischen Zeigefinger vom Leser gut angenommen werden kann.

Rühe selbst bringt diesen inneren Unruhezustand und die weitreichenden Folgen für eine konzentrierte Kommunikation in der Eigenbetrachtung immer wieder von anderer Seite her auf den Punkt. Sei es die humorvolle Schilderung der Suche nach Telefonzellen (vor weniger Telefonbüchern), sei es der Hinweis, dass Briefe doch noch geschrieben werden können, wenn man sie einfach als Email verfasst und dann ausdruckt und per Post verschickt. So nimmt er den Leser in bester Weise mit auf seine Reise in die analoge Welt mit all den Schwierigkeiten innerer und äußerer Art des "abgeschaltet" seins. So werden auch die Chancen und hilfreichen Möglichkeiten des Netzes in den rechten Blick gerückt, wenn man Grenzen für die eigene Person noch zu ziehen vermag.

Das mitschwingende Stichwort bei der Betrachtung der digitalen Welt ist das der Zerfaserung.
Arbeiten und Leben im "Schnipselmodus", im ständigen Hineinspringen, überfliegen und weiterspringen. Ein Schnipselmodus, der auch vor dem eigenen Denken nicht halt macht.
Fazit
Letztlich, bei allem Humor und allem Schmunzeln beim Lesen, ernüchternd, wie klar Alex Rühle es vermag, die suchtartigen Folgen der modernen Vernetzung ungeschminkt zu erleben, zu beschreiben und vor Augen zu stellen. Daher nicht nur ein wunderbar zu lesendes Buch, sondern auch eines, das wichtige Impulse und ernüchternde Erkenntnisse in den Raum zu stellen vermag, ohne eine handliche Lösung anzubieten, da ist der Leser selbst gefordert.
10 Sterne10 Sterne10 Sterne10 Sterne10 Sterne10 Sterne10 Sterne10 Sterne10 Sterne10 Sterne
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Vorgeschlagen von Lesefreund [Profil]
veröffentlicht am 12. September 2010

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