Dilara und ihr kleinwüchsiger Diener Cippico steigen in dem Hotel Maison de
Vervins in Avignon ab, um ein wenig Zerstreuung zu finden. Doch der Frieden
währt nicht lange, denn zum Einen verschwindet die Leiche eines von Dilaras
Opfern spurlos und zum anderen verlangt Antediluvian, der Ur-Nosferatu nach
seiner "Tochter". Dilara soll nämlich für ihn ein geheimes Dokument
aus den Archiven des Vatikans holen. Ihr zur Seite steht dabei die
Rosenkreuzerin Gelophee Roche, vor der Antediluvian aber eindringlich warnt,
denn die Rosenkreuzer sind angeblich Diener der Lichtgöttin Methalumina, welche
als Todfeindin aller Vampire bekannt ist und als unbezwingbar gilt.
Gemeinsam mit Cippico und Gelophee macht sich Dilara auf den Weg nach Lugano, wo
ein abtrünniger Priester leben soll, der über den Aufenthaltsort des
Dokumentes Bescheid weiß. Doch kaum dort angekommen erscheint Methalumina und
es kommt zur Konfrontation mit der Lichtgöttin. Dilaras Auftrag scheint
vereitelt, bevor er richtig begonnen hat, und das Schicksal der Vampirin
besiegelt.....
Mit dem dritten Beitrag zur Schattenchronik gibt der Autor Mark-Alastor E.-E.
seinen Einstand, hat er bislang doch nur für seine eigene Serie
"Geisterdrache" im Blitz-Verlag seine Spuren hinterlassen. Doch mit
"Die Kinder der fünften Sonne" beweist er, dass er auch einfühlsame,
stimmungsvolle und historische Vampirromane zu schreiben versteht. Band 3 der
Schattenchronik ist eine echte Gothic Novelle der Superlative und gibt der
Heldin dieser Serie, Dilara, noch mehr Tiefe und noch mehr Hintergrund. Der
Roman führt die Geschehnisse aus dem zweiten Band "Kuss der
Verdammnis" nicht unmittelbar fort, denn Dilara erzählt zunächst ihrem
Gefährten Calvin eine Episode aus ihrer Vergangenheit. Dies geschieht so
stilecht und fesselnd, dass man sofort in die Geschichte eintaucht. Der Autor
hat hervorragend recherchiert und sich darüber hinaus auch der blumigen Sprache
des ausgehenden neunzehnten Jahrhunderts bedient, was dieses Buch zu einem
besondern Lesevergnügen macht. Der Leser macht außerdem nebenbei die
Bekanntschaft historischer Persönlichkeiten wie Renoir und Monet, zweier
bekannter französischer Maler.
Der Diener Cippico und die Rosenkreuzerin sind schillernde und bewegende
Figuren, ebenso wie ihre Gegenspieler, allen voran Antediluvian, der
Ur-Nosferati. Insbesondere den kleinwüchsigen Diener Dilaras habe ich
liebgewonnen und hoffe noch öfter von ihm zu lesen, auch wenn er bisweilen arg
unter seiner temperamentvollen Herrin zu leiden hat. Die Vampirin selber
offenbart dieses Mal auch ein wenig ihrer bisexuellen Neigungen und einmal mehr
ihre Rücksichtslosigkeit. Stimmig vervollständigt der Autor das Bild Dilaras,
dass wir von Wolfgang Hohlbein und Alisha Bionda her kennen. Die Tochter
Antediluvians ist keine menschenfreundliche Zeitgenossin die sich selbstlos für
Andere einsetzt, dass würde auch nicht zum Charakter der Vampire passen. Doch
kann sie im Gegensatz zu anderen Nosferati auch zärtliche Gefühle hegen.
Doch der Plot der Geschichte dreht sich um ein geheimnisvolles Dokument, welches
in den Archiven des Vatikans schlummert. Dieses Dokument will der Ur-Nosferatu
Antediluvian in die Hände bekommen und einmal mehr soll Dilara die Kastanien
aus dem Feuer holen. Hier wird schon der Grundstock für die Abneigung und die
Aufsässigkeit der Vampirin gegenüber ihres Schöpfers gelegt. Zudem wird ein
kleiner Vorstoß zu den Anfängen der Vampire gewagt. Auch eine mächtige
Feindin der Blutsauger hat ihren ersten Auftritt: Methalumina, eine
Lichterscheinung, die durch ihre bloße Anwesenheit die Vampire zu vernichten
vermag. Diese Wesenheit ist weder greifbar noch wirklich einer Seite zu
zuordnen, sie erscheint und verschwindet, wenn bestimmte Vorraussetzungen
erfüllt sind. Und das ist auch schon alles, was von dieser Gestalt preisgegeben
wird. Man erfährt weder wo sie herkommt, noch was sie wirklich ist oder was sie
beabsichtigt.
Ein weiterer interessanter und geheimnisvoller Aspekt der Geschichte bilden die
Rosenkreuzer und ihre Verbindung zu Methalumina, wenn es denn eine gibt. Laut
Antediluvian sind die Rosenkreuzer Diener der Lichtgöttin, doch Dilara schenkt
ihrem "Vater" schon länger keinen uneingeschränkten Glauben mehr, so
dass seine Aussagen mit vorsicht zu genießen sind.
Vom Stil her liest sich der Roman flüssig und ohne unnötigen Längen, auch
wenn die Action recht sparsam eingesetzt wurde, was eine herausragende
Eigenschaft der Serie zu werden scheint. Die Spannung baut sich schleichend und
subtil auf.
Die Innenillustrationen lockern das Buch angenehm auf, auch wenn sie nicht alle
meinem Geschmack entsprechen und teilweise ein wenig comichaft wirken. Das
Titelbild gehört zum Durchschnitt: Es ist nicht wirklich schlecht, aber auch
kein Highlight. Aber die allgemeine Aufmachung der Serie sucht ihresgleichen und
ist wie immer genial. Der düstere Rahmen, die charakteristischen
Fledermausschwingen auf jeder Seite und die verschnörkelte Schrift machen die
Bücher der Schattenchronik zu edlen Sammlerstücken.
Fazit
Hervorragende und gekonnt geschriebene Vampir-Novelle, die neben guter Recherche
vor allem durch eine antiquierte Sprache besticht, welche den Ereignissen den
Schein von Authentizität verleiht. Lebensnahe Charaktere und eine spannende
Geschichte runden das Gesamtbild ab. Der Wolfsburger Künstler Pat Hachfeld
bereichert den Band durch eindrucksvolle Innenillustrationen. Mark Freiers
Covergestaltung tut ihr übriges das Buch zu einem echten Schmuckstück im
Bücherregal zu machen.
Vorgeschlagen von Florian Hilleberg
[Profil]
veröffentlicht am 10. Juni 2006 2006-06-10 21:32:22