Countdown der Rache
General Oleg Blochin will nur eines: Rache. Eine teure Rache.
10 Milliarden Euro stellt er als Forderung später im Buch in den Raum.
Gemeinsam mit seiner Einheit ergebener und bestens ausgebildeter und
ausgerüsteter russischer Elitesoldaten folgt er zu diesem Zwecke einem
logistisch bi ins letzte ausgeklügeltem Plan, der ihm 70.000 Geiseln auf einen
Schlag verschafft.
Das Oktoberfest in München hat begonnen, die Menschen strömen auf die Wies'n,
Spaß und Freude sollen für diesen Besuch im Mittelpunkt stehen, zumindest aber
gute Geschäft wie für Werner Vogel, der mit seinem Partner einen großen
Lieferauftrag für das Fest an Land gezogen hat.
Schon bald sind die Festzelte bis auf den letzten Platz gefüllt. Festzelte, die
ein schreckliches Geheimnis bergen. Mit höchster militärischer Präzision
haben Blochin und seine Männer alle Festzelte mit Gasleitungen versehen. Als
das Fest gerade wirklich in Schwung kommt, statuiert Blochin umgehend ein
Exempel und nimmt die gesamte restliche Besucherschar der Wies'n umgehend als
Geiseln.
Der zusammenkommende und miteinander sich an Kompetenzen zunächst reibende
Krisenstab sucht händeringend nach Lösungen, steht sich teilweise selber im
Wege, hat kaum eine Antwort auf die bis ins kleinste abgestimmte und
abgesicherte Vorgehensweise der Elite Truppe. Eine Vorgehensweise, die scheinbar
jede Überlegung von Politik und Polizei bereits vorweggenommen hat und
zunächst alle Versuche, der Lage Herr zu werden, ins Leere laufen lässt. Bis
hin zur Erschießung eines leibhaftigen Ministers auf offener Straße vor dem
Festgelände durch einen der russischen Scharfschützen wird deutlich, wie
hilflos die selbst ernannten Krisenmanager vor der Situation stehen.
Nur der eilends herbeigeschaffte Kapitän zur See Wolfgang Härter, verdeckter
Operateur beim militärischen Abschirmdienst, eingeschleust in die
Sonderkommission unter dem allerweltsnamen Müller, beginnt, Schritt für
Schritt seine Gegenstrategie zu entwerfen und umzusetzen, nicht immer mit voller
Unterstützung gewichtiger Persönlichkeiten.
Neben diesen Protagonistenpolen Blochin und Härter, die in bester Manier wirken
wie der Schurke und der ihn bekämpfende James Bond aus den gleichnamigen
Büchern und Filmen, versteht es Christoph Scholder auf den gut 600 Seiten
seines Erstlingswerkes Nebenpersonen, Emotionen und Abläufe hervorragend zu
beschreiben und miteinander zu verknüpfen. Einerseits wendet er sich, neben
einer gründlichen Charakterisierung Blochins und dessen Beweggründen, einer
Reihe von ausgewählten Personen auf der Wies'n selbst und des Krisenstabes zu,
deren Schicksal nun durch ihre Festsetzung als Geiseln und ihre Involvierung in
das Terrorgeschehen eine besondere Wendung nimmt, innerhalb derer sie Seiten
ihrer Persönlichkeit zeigen, die im Vorfeld kaum vorstellbar gewesen wären.
Als genauer Beobachter gelingt es Scholder leicht, mit präzisen Beschreibungen
und kurzen Sätzen die handelnden Personen fassbar in den Raum zu stellen.
Mit gleicher Präzision erläutert er im Buch überzeugend detailliert und
erschreckend den technischen Ablauf der Geiselnahme und lässt kaum Zweifel
offen, dass ein solches Unternehmen durchaus möglich wäre, mit der
entsprechenden Vorplanung und Ausrüstung. Die vordergründige Lust am Amusement
und damit einhergehend eine durchaus vorhandene Laxheit im Blick auf die
Sicherheit korrespondieren in bester Weise, um das Geschehen real erscheinen zu
lassen. Durch seine Kunst der Andeutungen und die lange Zeit eher aussichtlos
erscheinende Lage hält Scholder zudem die Spannung fast spielerisch beständig
aufrecht und im Raum.
Sprachlich weist das Buch durch die kurzen, prägnanten Sätze und die
Konzentration auf das Wesentliche des Geschehens eine hohe Dichte und
Geschwindigkeit auf. Abschweifungen, Erläuterungen, Hintergründe im Blick auf
die beteiligten Personen dienen fast ausschließlich dem besseren Verständnis
und der weiteren Beförderung der Geschichte.
Rasant erzählt, akribisch recherchiert, erschreckend in der realitätsnah
dargestellten Hilflosigkeit des Krisenmanagements, mit hineinnehmend in die
Atmosphäre von Angst und Bedrohung auf dem abgeriegelten Gelände des
Oktoberfestes hält man hier einen überzeugenden Thriller in der Hand, der
durchkomponiert und ausgereift kaum vermuten lässt, dass er das erste Buch
Christoph Scholders ist.
Die zum Teil ohne größere Schattierungen gezeichneten Figuren nimmt man dabei
im Gesamten des rasanten Ablaufes ohne großes Murren in Kauf.
Fazit
Schnell, präzise, realitätsnah gezeichnet und mit einer Vielzahl von
hintergründigen Hinweisen ausgestattet ist "Oktoberfest" ein
hervorragender Thriller mit einem beängstigend realitätsnah erscheinenden
Szenario, in dem die handelnden Figuren mit großer Finesse einem
überraschenden und überzeugendem Finale entgegengehen. Empfehlenswert!
Vorgeschlagen von Lesefreund
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veröffentlicht am 01. September 2010 2010-09-01 17:01:20