Der Philosoph Julius Evola (1898-1974) gilt als bedeutendster antimoderner
Denker und Theoretiker jener Tradition, die einen harmonischen politischen und
gesellschaftlichen Aufbau erstrebte. Er widmete sich der Esoterik und
Philosophie und schrieb zahlreiche Aufsätze. Insbesondere seine als
kulturanalytisch beschriebene Theorie mit ihren vorchristlichen Mythen und
Lebensgesetzen wurde als sein Markenzeichen immer mehr zur politischen Forderung
erhoben. Evola hat ein sehr umfangreiches Werk hinterlassen. Es besteht aus 25
Büchern 300 längeren Essays und über 1000 Zeitungsaufsätzen.
Der Verlag Zeitenwende hat mit dem vorliegenden Buch ein 1953 erschienenes
Hauptwerk Evolas vorgelegt, das mit einer Forderung an den geneigten Leser
herantritt. Für Evola ist die Moderne, "die Welt, in der Gott tot
ist". Das Buch richtet sich deshalb an einen ganz bestimmten Menschentypus,
an einen "anders seienden Menschen", der sich der Tradition zugehörig
wisse. Den Ritt auf dem Tiger überlebt für Evola nur dieser Mensch. Er ist
selbstlos und wunschlos. Er denkt und handelt unbeeindruckt und bleibt von
Erfolg und Mißerfolg, Lust und Schmerz unberührt. Diese Lebenssicht aus der
altindischen Bhagavadgita deutet an, daß es sich um einen Weg der
überpersönlichen Vervollkommnung handelt, der mit Berufsoutsidertum oder
Verweigerer aus Gewissensgründen nichts zu tun hat. Evola schreibt deshalb zum
besseren Verständnis dieser Haltung über Martin Heidegger, Aldous Huxley,
Ernst Jünger, Henry Miller, Friedrich Nietzsche und Jean-Paul Sartre, über den
Existenzialismus, über Dadaismus und Surrealismus, über Drogen und Musik.
Seine Erkenntnis: Man müsse jegliches nach außen gerichtetes Ziel
fallenlassen, da eine in der Auflösung befindliche Epoche diese Ziele
verunmögliche. Kurz: Das, worauf ich keinen Einfluss nehmen kann, darf auch auf
mich keinen Einfluss nehmen. Dieser evolianische Weg geht davon aus, daß die
gelebte Apoliteia weder Verteidigung und Trauer noch Beweinung den äußeren
Mißständen in Gesellschaft und Politik gegenüber benötigt.
Der traditionsbewusste Typus Mensch könne nach der nüchternen Lageanalyse als
seine Norm nur noch die Abgelöstheit erkennen. So wirkt der Ritt auf dem Tiger
als Handbuch für junge Menschen, um herauszufinden, was unter den
philosophischen Strömungen der Gegenwart zählt und was man ignorieren kann.
Evola nimmt es dazu für sich in Anspruch, einen Menschen definiert zu haben,
der einen höheren Grad an Reife erlangt hat. Gleichwohl treten auf dem Wege
dorthin auch ältere buddhistische Begriffe hervor, die Mittel aufzeigen, wie
der auf dem Tiger reitende Mensch nicht an Äußerlichkeiten haftet. Da für
Evola die tiefe Antimodernität bereits ein Kennzeichen der ausgehenden
(letzten) Moderne ist, versteht sich das Nicht-Haften am Gegenwärtigen und die
damit erlangte innere Unverwundbarkeit als ein Weg, in widriger Zeit siegreich
zu sein.
Fazit
Insgesamt hat der Verlag Zeitenwende hier ein sehr wichtiges Buch vorgelegt,
dessen philosophische Aussagekraft eine stoische Ruhe für diejenigen, die nicht
glauben, vermittelt. Evola befindet sich hier auf der Höhe seines Schaffens.
Man erkennt Ansätze von Spinozas amor intellectualis oder Nietzsches amor fati
(Liebe zum eigenen Schicksal). Die beschriebene authentische Freiheit klammert
nicht an der Gegenwart, sondern hat die sich in der Zukunft abzeichnenden
Kräfte im Blick. Schließt sich ein Kreis, beginnt ein anderer, und der Punkt,
in dem ein laufender Vorgang in seine letzte Phase eintritt, ist zugleich der
Punkt, in dem er die Gegenrichtung einschlägt. Trifft dies zu, so hat sich er
Tigerritt gelohnt und man kann gestärkt in die neue Zeit eintreten.
Vorgeschlagen von Daniel Bigalke
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veröffentlicht am 18. August 2010 2010-08-18 16:17:59