Der Potsdamer Historiker Bernd Stöver legt auf 128 Seiten eine informative
Kurzeinführung in die Geschichte des Kalten Krieges dar. Im Rahmen der
Beckschen Reihe "Wissen" ist hier nicht beabsichtigt, umfassende
Informationen zu geben, sondern eine kompetente kurze Einführung in das Thema
zu geben. Dieses ist Stöver gelungen. Er beleuchtet die Ursachen des
"Ost-West-Konfliktes", den er im ersten Kapitel vom Begriff des
"Kalten Krieges" abgrenzt, skizziert die Geschichte des Kalten Krieges
von der begrenzten Kooperation zwischen USA und UdSSR im Zweiten Weltkrieg über
den Bruch der alliierten Koalition, skizziert die Eindämmungs- und
Befreiungspolitik ("Liberation Policy") unter Truman (Truman-Doktrin)
und Eisenhower, geht auf die Berlin-Krisen und den Korea-Krieg ebenso ein wie
auf die Kuba-Krise und die zahlreichen sogenannten
"Stellvertreter-"Kriege in der 3. Welt, den Vietnam-Krieg und die
Kuba-Krise. Entspannungsphasen während des Kalten Krieges werden ebenso
geschildert vom "Geist von Genf" 1955 bis zur Ost- und
Entspannungspolitik in den 1970-ger Jahren und die Rückkehr zur Konfrontation
seit dem sowjetischen Einmarsch in Afghanistan 1979 und der Wahl Reagans zum
US-Präsidenten 1980. Auch das Ende des Kalten Krieges, von der Ernennung
Gorbatschows, dessen "Neues Denken" gebührend gewürdigt wird, bis
zum Zerfall des Ostblocks wird kompetent dargestellt. Am Ende skzizziert der
Verfasser die unterschiedlichen Theorien, warum der Kalte Krieg zu Ende ging.
Handelte es sich wirklich, wie US-Präsident George Bush 1992 behauptete, um
einen "Sieg des Westens"? Waren es interne Gründe, die bereits in der
Gründungsphase der UdSSR angelegt waren, die für das Ende des Kalten Krieges
verantwortlich waren? War die Sowjetunion nach dieser Theorie aufgrund fehlender
intellektueller und wirtschaftlicher Ressourcen nicht in der Lage, die
ideologische Wegbereiterrolle der "Weltrevolution" zu spielen, die ihr
Lenin zugedacht hatte und war am Ende finanziell wie ideologisch überfordert?
Oder waren es externe Gründe, die für das Ende des Kalten Krieges
verantwortlich waren. Hat - dieser Deutung gemäß - der Westen durch seine
Offensive gegen den Kommunismus seit dem Beginn des Kalten Krieges, vor allem
durch die Ankündigung des SDI-Programmes, die Sowjetunion besiegt? Einer
dritten Theorie zufolge, die beide Auffassungen verknüpft, habe John F.
Kennedys "Strategy of Peace" bzw.
Egon Bahrs "Wandel durch
Annäherung" eine solche Magnetwirkung auf den Osten entfaltet, dass diese
letztlich zum Ende des Kalten Krieges geführt habe. "Die Verknüpfung
aller drei Thesen trifft wahrscheinlich am ehesten die historische Wahrheit: Die
Sowjetunion stand in den achtziger Jahren innen- wie außenpolitisch vor enormen
Herausforderungen. Gleichzeitig schien auf die bisherige Weise keine tragfähige
Lösung mehr möglich. Zu den Verstärkern der Krise gehörten neben dem vom
Westen angekündigten immens teuren SDI-Programm... insbesondre die intensiver
geäußerten Konsumansprüche der Bevölkerung im gesamten sowjetischen
Machtbereich. Sie waren durch die elektronischen Medien des Westens erheblich
forciert worden." Insbesondere sei es tatsächlich der
"Ausnahmepolitiker" Gorbatschow gewesen, der die ausschlaggebende
Rolle bei der Beendigung des Kalten Krieges gespielt habe. "Er
verwirklichte seine persönlichen Reformvorstellungen, um die Sowjetunion im
Systemkonflikt zukunftsfähig zu machen und er setzte seine Politik fort -
selbst als sich die unbeabsichtigten Folgen zeigten." Stöver verweist auf
den amerikanischen Politologen Myron Rush, der aus der Tatsache, dass
Gorbatschow überhaupt zum Kreml-Chef aufsteigen konnte, den Schluss gezogen
hat, dessen Ernennung sei bereits ein "Unfall" des sowjetischen
Systems gewesen. "Folgt man dieser Affassung, so war das Ende des Kalten
Krieges in erster Linie ein historischer Zufall. Für diese These spricht, dass
tatsächlich viele der weiteren zentralen Ereignisse des Umbruchs 1989 fast als
Glücksfälle zu bezeichnen sind: Man denke nur an die Umstände, die zur
Öffnung der Mauer in Berlin führten oder an die Tatsache, dass es - gemessen
an der Dimension und dempolitischen Gewicht des Umbruchs - zu relativ wenig
Blutvergießen kam. Der Westen mußte vor allem über seinen eigenen Schatten
springen und Gorbatschow als ehrlichen Verhandlungspartner anerkennen. Das Ende
des Kalten Krieges zeigte auf diese Weise noch einmal deutlich, was die
Auseinandersetzung vor allem gewesen war: ein Weltanschauungskrieg, ein Krieg
der Ideen, dessen Fronten durch die gegensätzliche Ideologie, insbesondere aber
durch die gegenseitige Wahrnehmung gebildet wurden."
Damit schließt sich der Autor ausdrücklich der sogenannten
"postrevisionistischen Interpretation" des Kalten Krieges an. Sie geht
davon aus, dass die Fehlinterpretation beider Seiten für die rasante
Entwicklung und bedrohliche Auseinandersetzung maßgeblich war. Diese
konstruktivistisch zu nennende Theorie, die ja auch in der Theorie der
Internationalen Beziehungen neben (Neo-)Realismus und Idealismus/Liberalismus
immer mehr Anhänger findet, scheint auch mir die plausibelste Erklärung für
Entstehung, Verlauf und Ende des Kalten Krieges zu sein.
Stöver argumentiert hier wesentlich differenzierter und meines Erachtens
plausibler als der Historiker
Rolf Steininger, der in diesem Jahr
ebenfalls eine - auch sehr lesenswerte - Einführung in den "Kalten
Krieg" vorgelegt hat (im Fischer-Taschenbuch-Verlag). Steininger schreibt -
völlig im Gegensatz zu Stöver: "Er (der Kalte Krieg) war nicht wegen der
viel zitierten gegenseitigen "Fehlperzeption" ausgebrochen. Mit Stalin
war eine Kooperation nicht möglich." Steininger, dessen Publikation neuere
Fachliteratur enthält als Stöver und übersichtlicher angelegt ist als dieser,
argumentiert stärker als Zeithistoriker, ausführlich auf die Aktenlage,
insbesondere neuere britische Quellen, eingehend. Stöver argumentiert stärker
systemtheoretisch und bietet eine kompetente Überblicksdarstellung. Während
Steininger in seiner 112-seitigen Publikation stärker die Entstehung und den
Verlauf des Kalten Krieges fokussiert, betont Stöver alle Aspekte, auch das
Ende dieses Konfliktes, in gleichem Maße. Bei Steininger finden sich
demgegenüber Vertiefungskapitel, die einzelne Aspekte des Kalten Krieges, vom
Bau der Atombombe, dem Marshallplan, dem Vietnam- und Koreakrieg und der
Kubakrise stärker betonen. Dafür streift Stöver auch Alltag und Kultur im
Kalten Krieg. So findet sich hier ein Kapitel über den "Kalten Krieg in
den Medien" und eine interessante Auflistung von Filmen beider Seiten zum
Kalten Krieg. Auch wird die Rolle der restlichen Welt, etwa der Bewegung der
Blockfreien, bei Stöver erörtert (auch wenn er zu dem Ergebnis gelangt, die
Bedeutung dieser Bewegung sei im Kalten Krieg bedeutungslos gewesen, da sie
keine ihrer anvisierten Ziele erreicht habe), bei Steininger hat man eher den
Eindruck, der Kalte Krieg sei ein Konflikt zweier Mächte, der USA und der UdSSR
gewesen.