Ganz anders
Sperrig, Fantasievoll, gewunden, vor allem aber ganz anders ist es, was und wie
Christian Kracht seine Geschichte schreibt.
Im Stile der Fantastik entfaltet Kracht eine andere, antihistorische Welt. Die
Schweizer Sowjetrepublik, alleine das schon ein Sujet, das eine Menge Fantasie
braucht. Und nun diese Land in enger Verbindung zu ostafrikanischen Völkern zu
erleben, zudem als Brennpunkt eines umfassenden Krieges, wär es wirklich so
gewesen und gekommen, wenn Lenin 1917 in der Schweiz geblieben wäre und es dort
zu einer kommunistischen Revolution gekommen wäre? Doch auch dies ist zu Beginn
des Buches bereits Geschichte, eine Geschichte allerdings, die den Lauf der Welt
völlig auf den Kopf stellt.
Jahrzehnte lang herrscht bereits Weltkrieg, doch moderne Errungenschaften der
Kriegsführung haben sich in all diesen Jahren nicht Entwickelt. In der Sprache
von 1917, mit teilweise militärischen Mitteln des ersten Weltkrieges
(Kavallerie, die schwere Maschinengewehre auf den Pferden festgebunden haben)
wogt der Krieg hin und her, Deutsche Luftschiffe bombardieren das militärische
Hauptquartier in den Schweizer Bergen, ein deutscher Marshall wird in
Schweizerisch-Salzburg hingerichtet, Sinti Divisionen stehen am schwarzem Meer.
Eine düstere Welt, festgefahren im brutalen Konflikt. Eine Umkehrung der
Weltverhältnisse, wie sie auch Robert Harris in "Vaterland" hatte
anklingen lassen. Ähnlich wie dort schwingt auch hier ein Mord und das Thema
Verrat mit, aber doch ganz anders.
Durch diese Welt folgen wir dem Ich Erzähler, geboren an der Grenze zu
Mozambique und geschult in einer der afrikanischen schweizerischen
Militärakademien in einer Geschichte mit wenig rotem Faden, aber vielen
Assoziationen, Beschreibungen, verlorenen Hoffnungen. Die vordergründige Suche
des erzählenden Polit-Kommissars nach einem Mörder ist letztlich nur Beiwerk
für den Blick auf die fantastischen Umstände dieser kriegsgewohnten,
Kriegserfahren und dennoch auch kriegsmüden Welt.
Dennoch ist an dem Geschilderten nicht unbedingt Neues, Überraschendes zu
erkennen. Die geschilderten Verhältnisse, die starren Fronten, der
feudalistische Umgangston, all das ist weitestgehend ja reale Geschichte der
Verhältnisse im kommunistischen Russland und im ehemaligen Ostblock. Dies
einfach nun in die Schweiz zu verlegen ist letztlich zu wenig, um neue und ganz
andere innere Perspektiven zu eröffnen.
Andererseits ist das Buch sprachlich hervorragend erzählt. Kurze, knappe, kalte
Sätze korrespondieren in bester Weise mit der geschilderten zerrissenen Welt.
Eindrucksvolle, plastische Bilder versetzen mit wenigen Worten mitten hinein in
die klirrende Kälte, die festgefahrenen Fronten, die kalten Grausamkeiten.
Sprachlich mitnehmend entstehen innere Verbindungen zur eigentlich Leitfrage des
Buches, warum zum Krieg als vermeintlich besserer Lösung gegriffen wird.
Fazit
So verbleibt ein diffuser Eindruck zum Schluss. Sprachlich interessant und
teilweise kraftvoll, in er erzählerischen Dichte manches Mal wirr und damit
auch ermattend. In einzelnen Schilderungen schaudernd, in anderen Bereichen
unberührt lassend. Eine einheitliche Betrachtung des Buches stellt sich nicht
wirklich ein. Dennoch sprachlich und in der Grundidee lesen- und bedenkenswert.
Vorgeschlagen von Lesefreund
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veröffentlicht am 14. Juni 2010 2010-06-14 22:42:19