Mittendrin statt nur dabei
...die Überschrift des ersten Kapitels ist bereits Programm des Buches.
In Ihrer Untersuchung sozialer Netzwerke und diesen innewohnenden, umfassenden
Wechselwirkungen gehen Nicholas Christakis (Mediziner und Soziologe) und James
Fowler (Politikwissenschaftler) sowohl in der Breite der zugrunde liegenden
Datenerhebung (unter anderem wurde eine gesamte Kleinstadt einer Langzeitstudie
unterworfen), als auch in ihren Thesen und Erkenntnissen weit über das hinaus,
was bisher in Betrachtungen von Netzwerken erforscht und postuliert worden ist.
Das soziale Netzwerke in Werte, Geschmack und Verhalten beeinflussen können ist
sicherlich allein schon im Blick auf die Mode seit Jahrhunderten offensichtlich.
Wieweit diese Einflüsse aber wirklich reichen und in welch umfassendem Sinne
die Menschheit miteinander verbunden ist, vor diesen fundierten und logischen
Darstellungen der beiden Autoren steht man dann doch staunend.
Wobei bereits die Einleitung des Buches im Blick auf den Beginn der
persönlichen "Vernetzung" von Nicholas Christakis und James Fowler
die grundsätzlichen Funktionen des sozialen Netzwerkes eindrücklich vor Augen
führt. Nur zu Anfang mag es dabei erschrecken, dass nicht das Individuum
alleine und frei seine Wege bestimmt, sondern dass der Schwarm letztlich die
Entscheidungen trifft, denen sich die Individuen weitverzweigter Netzwerke dann
anschließen. Im Verlauf der Lektüre aber schließt man sich den beiden Autoren
ohne Vorbehalte in der Betrachtung der Schönheit und Erklärungsmacht sozialer
Netzwerke an.
Die Verbindungen von Glück und Leid, der Liebe, die vor allem dem
"Übernächsten" zukommt, dass sogar Selbstmord ansteckend wirkt und
das Netzwerke letztlich einfach in unseren Genen bereits durch die
Generationenkette angelegt sind, all dies führen uns die beiden Autoren in
wissenschaftlich fundierter Weise, in verständlicher Sprache und mit
einsichtiger Logik vor Augen.
Allein schon die Beweisführung des altbekannten Satzes, das "Alles mit
Allem" verbunden ist unter Erläuterung des bisherigen Weges der
Netzwerk-Forschung liegt in diesem Buch in bester Weise beschrieben vor.
Die Ableitung auf die gegenseitige Einflussnahme über jeweils drei Schritte
hinaus in sozialen Netzwerken überzeugt ebenfalls und zeigt eindrücklich auf,
in welchen letztlich doch wieder fast universal vorliegenden Verflechtungen
Einflüsse, Meinungen, Emotionen in diesen Bereich der drei Schritte eindringen
und weitergeleitet werden
Dass Einsamkeit nicht nur eine Folge von Beziehungslosigkeit ist, sondern in
mancher Form auch deren Ursache durch die weiterreichende Einflussnahme im
Netzwerk wirft einen ganz neuen Blick auf die Funktion des manches Mal nicht
genau fassbaren Zustandes der Einsamkeit (im Gegensatz zum Alleinsein).
Einsamkeit wird, genauso wie Glück, weitergegeben. Und zwar über drei Ecken!
So sollten auch wir unsere Freunde und Bekannten genau betrachten, denn wenn
einer unserer Freunde einsam ist, erhöht sich auch unsere Empfänglichkeit für
diesen Zustand. Und umgekehrt gilt das gleiche.
Bei der reinen Beschreibung bleiben die Autoren nicht stehen. Aus ihren
Ergebnissen leiten sie mutig und in radikaler Form einen ganz neuen Blick auf
das Menschsein an sich ab. Soziale Netzwerke sind es, mit deren Hilfe in
positiver und negativer Hinsicht Dinge und Entscheidungen möglich werden, die
die Kapazität und Kompetenz eines einzelnen weit übersteigen.
Glück, Wohlstand, Gesundheit, die richtige Partnerwahl, all dies ist
grundlegend verbunden mit der eigenen Position innerhalb des eigenen Netzwerkes,
auch, wenn dies dem Bewusstsein gar nicht zugänglich ist. Die eigene Stellung
im sozialen Netzwerk ist damit wesentlich bedeutsamer als Bildung, materieller
Wohlstand oder ethnische Zugehörigkeit.
Die entscheidende Frage für unser Leben ist, wer uns faktisch beeinflusst und
gibt uns anhand des Buches die Möglichkeit, mit offenen Augen zu prüfen, mit
wem wir uns umgeben wollen und von wem wir uns damit beeinflussen lassen.
Folgt man den Autoren in den einzelnen Schritten und Themenbereichen, in denen
die soziale Vernetzung letztlich die entscheidende Rolle spielt, dann ist der
Schluss auf der Hand liegend, dass alte Modelle zum Verständnis des
menschlichen Verhaltens ausgedient haben, zumindest aber stark
überholungsbedürftig sind.
Soziale Netzwerke wirken auf der Ebene des Einzelnen in jeden Aspekt des
Alltages hinein. Wir reagieren auf Ereignisse, von denen wir oft noch nicht
einmal erfahren haben. Ein faszinierender Blick auf unsere Welt und unser
menschliches Sein ist es, den die beiden Autoren vor unsere Augen stellen. Und
ein überzeugender Blick.
Das alles mit allem und jeder mit jedem einflussnehmend verbunden ist, das mag
zu weit gegriffen sein. Nicht alles, was auf dieser Welt passiert, hat einen
direkten Einfluss auf uns. Dennoch aber stehen wir in der Mitte eines
umfassenden Geflechtes, dass es zu entdecken gilt für uns, um zu verstehen,
wer, was und wie wir sind.
Fazit
Das Buch ist, anders ist es nicht auszudrücken, ein Meilenstein in der
Betrachtung menschlicher Beziehungen und Verflechtungen, dass mutig über bisher
enge Grenzen der Betrachtung hinausgeht und ebenso mutig es wagt, große
Schlüsse zu ziehen.
Vorgeschlagen von Lesefreund
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veröffentlicht am 08. Juni 2010 2010-06-08 23:57:49