Wort- und Gefühlsrausch
Die Worte strömen, branden, perlen, umfließen, halten nicht inne.
In den 17 Erzählungen seines Buches, dem er die japanische Göttin Seiobo,
Hüterin der Früchte der Unsterblichkeit, als Titel gibt, bricht sich eine
Sprachgewalt Bahn, der man manches Mal nur mehr atemschöpfend zu folgen vermag.
Assoziativ ausufernde Sätze und Wortgebäude, von allen Seiten das Gemeinte, zu
Sagende erhellend, reinigend, umfließend, nie abgleitend oder als Wasserfall
stürzend, geben den Geschichten ihr äußere Form, vermittels derer Laszlo
Krasznahorkai seinem Thema in der Tiefe nachgeht. Eine Tiefe, in die er den
Leser ohne Mühe mit hineinnimmt. Eine solche Fülle von eigenen Assoziationen
und der Freisetzung eigenen Erlebens entsteht, das in bester Weise mit den
Themen und der Absicht des Buches korrespondiert.
Den Blick richtet Laszlo Krasznahorkai in melancholischer, aufrüttelnder, aber
nie zynischer oder verbitterter Weise auf jene innere Leere des modernen
Menschen in der modernen Welt, in der eigentlich Mystik, Erschauern,
Transzendenz, Schönheit und Kunst ihren Platz hätte. Aber, wenn überhaupt,
nur noch in Restfragmenten vorliegen.
Sein Blick in der zweiten Erzählung auf das verlorengegangene Wissen um den
eigentlichen Schöpfer des Kunstwerkes aus der Werkstatt Botticellis eröffnet
das Erkennen um das verlorengehende "Wissen um das Eigentliche", die
Tiefe der Gegenstände und der erschaffenden Kunst, die nie einfach aus dem
Nichts heraus erschafft, sondern letztlich nur Vorhandenes entkleidet und
sichtbar gestaltet. Dieses Vorhandene, Vorliegende, der Welt und der Schöpfung
innewohnende ist es, dem sich die Geschichten nähern, es umspielen, umfließen
und mit diese, einzigartigen Stil erfahrbar, erlebbar gestalten.
Sei es die Grimasse einer Maske, sei es die eigentliche Zielrichtung des Blickes
der Venus von Milo, deren perfekter Schöpfung sich nur einer der Museumswärter
in der Tiefe, fast rauschhaft zu öffnen vermag oder eine der mitreißenden,
hier in einer auch mörderischen, Geschichten über die Malerei der Renaissance,
immer vermag es Laszlo Krasznahorkai, den Leser fast unmerklich mit hinein zu
ziehen in das Erleben jener diesseitigen Jenseitigkeit, die an so vielen Orten
der Gegenwart nur mehr leere Hülle ist.
Schon in der Eröffnung des Buches ist die Schönheit des in tiefer,
vollkommener Ruhe auf den einen, entscheidenden Augenblick wartenden Reihers
eine jener Chancen, der "anderen Seite" habhaft zu werden. Für jeden
Vorbeigehenden wäre dies erkennbar, doch niemand schaut noch. So verbleibt nach
13 Seiten, auf denen er nur 8 Sätze ausufernd gestaltet, der einzige mögliche
Rat an den Reiher im Blick auf seine Vollendung: "Besser, wenn Du Dich
zurückziehst und nicht mehr wiederkehrst, besser, wenn Du stirbst".
Gut, dass Laszlo Krasznahorkai seinen Rat an den Reiher selber nicht befolgt hat
und trotz traurigen Blickes auf die Leere in der inneren Welt seinen Teil
schöpferisch beifügt, die Türen zur metaphysischen Tiefe einen Spalt weiter
zu öffnen.
Seine beiden Blicke in die Tiefe, der Blick auf fast unbekannte, dennoch
einzigartige Gegenstände und auf deren künstlerische Schaffensprozesse, in
diesem Blick in dem das fast verloren geglaubte Vollkommene und die Möglichkeit
der handelnden Personen, sich in Ruhe oder im Rausch der Sinne und Worte diese
metaphysische Ebene zu erfassen, zu erleben und der gegenläufige Blick auf die
Leere, die Verschlossenheit, das rein äußere, pragmatischen Handeln mitsamt
seiner dennoch vorhandenen Sehnsucht nach Füllung und Transzendenz, diese
beiden Blicke in die Tiefe eröffnet das Buch fühlbar.
Nicht nur im Inhalt, auch in der Form.
Wie sonst als in teilweise sperriger Form, oder in unendlichen sprachlichen
Variationen das Gemeinte assoziativ zu verdeutlichen, wie sonst als in
berührend melancholischer Ausrichtung wäre ein Zugang zu finden, der tiefer
reicht als die reine Sachlichkeit der erzählten Ereignisse?
Wie für seine Protagonisten in den einzelnen Geschichten eröffnet sich der
Zugang zur wahren Bedeutung der Gegenstände und Geschehnisse nur, wenn man sich
öffnet und darauf einlässt, sich mitreißen lässt von den vielen, immer
tiefer führenden, teils verborgenen Bedeutungen.
So gilt dies auch für das Buch an sich, man wird sich einlassen müssen,
mittreiben lassen auf dem Strom der nie versiegenden Worte, den wachgerufenen
Assoziationen entspannt nachgehen, um die Wucht des Erzählten in jenem inneren
Raum zu spüren, den Laszlo Krasznahorkai im Leser betreten möchte. Wissend,
dass er auf diesem Weg auf die vielfachen Abwehrmechanismen und Egomanien
treffen wird, die die Mutter des persischen Königs in einer der Geschichten
durch ihren Neid, ihre Eifersucht und ihren Machthunger eindringlich vor Augen
führt.
Aber er gibt die Hoffnung bei aller Welterfahrenheit nicht auf, dass die
"Hoffnung auf das Höhere" beim ein oder anderen noch nicht ganz
erloschen ist und die Mühe des Weges dorthin noch auf sich genommen werden
kann.
Nicht nur, indem er für seine Geschichten einen Stil der Darstellung gewählt
hat, der dem Inhalt, dem verbindenden Thema aller Geschichten und seinem
persönlichen Ansinnen bestmöglich und weit die Türen öffnet, zeichnet sich
Laszlo Krasznahorkai aus, sondern zudem in seinem profunden Wissen über die
Gegenstände und Ereignisse, über die schreibt. Lange ist es her, dass ein
solcher Blick auf die Gegenstände und Schöpfungen der Kunst im Buch geworfen
hat.
Fazit
Einfach meisterlich.
Vorgeschlagen von Lesefreund
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veröffentlicht am 03. Juni 2010 2010-06-03 23:35:26