Durch den Erfolg von
Union Atlantic haben auch Adam Hasletts Kurzgeschichten wieder das
Interesse deutscher Leser geweckt. - Für Das Gespenst der Liebe erhielt Haslett
2006 den PEN/Malamud-Award. - Haslettes Figuren sind grantige alte Leute
(Frank Singer in: Für meinen Biografen, Owen in: Hingabe), Kinder (Giles und
Samuel in: Vorahnung, die jugendliche Hauptfigur in: Der Ursprung der
Verzweiflung) oder Homosexuelle (Hingabe, Wiedersehen). Einige Geschichten
Hasletts zeigen, wie Menschen aus ihrer mühsam gewahrten Balance urplötzlich
in die psychische Erkrankung kippen können (Der gute Doktor, Der Freiwillige,
Kriegsende).
In "Vorahnung" erleben die Schüler Giles und Samuel wie ihr betagter
Latein-Lehrer Jervins, Kriegesveteran des 1. Weltkriegs, von der Klasse fertig
gemacht wird. Samuel weiß nicht, an wen er sich wenden soll, um Jervins zu
helfen und er ahnt bereits, welch tragische Wendung Jervins Schicksal nehmen
wird. Samuels Familie scheint sich lieber den Vorahnungen ihres Sohnes zu
entziehen als Anteil am Schicksal des Lehrers zu nehmen.
Hingabe, die Titelgeschichte der deutschen Ausgabe von "You Are Not A
Stranger Here", zeigt Bruder und Schwester, die nach dem frühen Tod der
Mutter seit 25 Jahren wie ein altes Ehepaar zusammen leben. Owen hatte sich
immer für seine Schwester Hillary verantwortlich gefühlt. Die beiden erwarten
den Besuch Bens, Hillarys Jugendliebe, zu dem sie seit 15 Jahren keinen Kontakt
mehr hatten. Eine Schachtel mit Briefen, die Ben damals an Hillary schrieb,
deutet auf ein Geheimnis Owens hin und wirft beim Leser die Frage auf, zu
welchen Mitteln ein Mensch aus Angst vor dem Alleinsein greifen darf. Hat
Hillary ein Recht auf persönliches Glück oder muss sie aus Dankbarkeit
lebenslang mit ihrem allein stehenden Bruder ausharren?
Bei Frank Singer, dem 73-jährigen selbstbewussten Inhaber ertragreicher
Patentrechte ( "Für meinen Biografen"), ist man sich unsicher, ob man
ihn hassen oder über ihn schmunzeln darf. Frank fühlt sich von aller Welt
betrogen und unterschätzt. Zur Zeit können Frank alle anderen, besonders
Ärzte und Psychiater, gestohlen bleiben. Bei seinen Kindern hat er sich seit
Jahren nicht sehen lassen, so dass die Reaktion auf seine offizielle
Abschiedstournee in der Familie auf wenig Begeisterung trifft. Frank hat eine
bemerkenswerte Art immer anderen die Schuld zuzuschieben und nur seine Sicht der
Dinge gelten zu lassen. Erstaunlich, wie stark sich ein einzelner alter Mann
daneben benehmen kann.
Der gute Doktor in der gleichnamigen Geschichte ist ein Psychiater einer Klinik
mitten in der amerikanischen Prärie. Frank fühlt, dass er dort in der Provinz
beruflich festsitzt, und begibt sich auf die 2½ Stunden dauernde Fahrt zu einer
Patientin, mit der er bisher nur telefonischen Kontakt hatte. Daran, dass eine
psychisch Kranke mit Rezepten, die ihr die Klinik zuschickt, angemessen zu
behandeln ist, hat nicht nur Frank erhebliche Zweifel, auch der Leser wundert
sich. Je weiter Frank in das Schicksal der Mrs. Buckholdt eindringt, desto
kälter wird dem Leser der Geschichte. Gegen Mrs. Buckholdts schreckliche
Erlebnisse werden bunte Pillen kaum helfen können.
In "Kriegsende" folgen wir einem jungen amerikanischen Paar auf
seiner Reise nach Schottland. Ellen will in der Bibliothek von St. Andrews
recherchieren. Ihr Mann Paul hat aufgrund seiner Depressionen und einer ganze
Reihe von Ängsten schon länger nicht mehr gearbeitet, so dass die
Verantwortung für den Lebensunterhalt bei der jungen Wissenschaftlerin liegt.
"Es war nicht zu erwarten, das man je ganz verstanden wird" ist Pauls
Fazit zu seiner Situation. Paul verweigert ärztliche Behandlung, er befindet
sich in einem Zustand, in dem alle Worte aufgebraucht sind.
Auch Dani in "Was meines Vaters ist" scheint ein Fall für den
Psychiater zu sein. Dani leidet wie sein Vater an manischer Depression, wirkt
rhetorisch versiert und zugleich völlig verdreht. Wenn Dani sich ärztlicher
Behandlung entzieht, ist zu befürchten, dass sich Vater und Sohn in ihrer
bipolaren Störung gegenseitig hochschaukeln werden.
Der Schüler Ted besucht in "Der Freiwillige" als ehrenamtlicher
Betreuer die alternde Elisabeth in einem Heim für betreutes Wohnen. Wegen einer
"leichten Instabilität" hat sich Elisabeths Familie schon vor 20
Jahren ihrer entledigt und sie hier abgestellt. Elisabeth hört Stimmen und hat
enge Kontakte zu Hester, einer Frau aus dem 17. Jahrhundert. Die kindlich und
unselbstständig wirkende Elisabeth hat das Heim seit damals offenbar nicht mehr
verlassen. Für sie scheint die Zeit seit ihrer Kindheit stehen geblieben zu
sein. Ted erhofft sich von Elisabeth einen Rat, wie er das Interesse des
Mädchens Laura wecken kann. Ted nimmt Elisabeth nur als alt und als nicht
weiter gestört wahr. Der gemeinsame Einkaufsbummel der beiden lässt die
Situation ins Groteske kippen. Das Ereignis zeigt, wie ernst Elizabeths
Schizophrenie zu nehmen ist, aber auch wie gut ihr der Kontakt zu Ted tut.