Gemeinsam einsam
Charles heißt der Mann. Er lebt mit seiner Frau Joan und zwei Kindern, Micah
und Lyris, das mittlerweile durchaus verbreitete Modell der Patch Work Familie.
Angesiedelt ist die Geschichte in einer wenig bemerkenswerten,
durchschnittlichen Kleinstadt im mittleren Westen der Vereinigten Staaten von
Amerika, umgeben von weiten Flächen Landwirtschaft.
Doch Charles hat noch eine andere Seite. Sehnsüchte. Zumindest einen ganz
konkreten Traum. Das alte Gewehr seines Stiefvaters ist in den Besitz der Witwe
des Pfarrers gelangt und er möchte es wieder haben. Im Verlauf des Buches wird
deutlich, warum dieser Traum ihn antreibt und ihm fast jedes Mittel recht wäre,
das Gewehr endlich zu erlangen.
Aber Charles ist nicht der einzige in seiner Familie mit unerfüllten Wünschen.
Wenn er nicht gerade mit seinem Bruder auf Tour geht, um harmlose
Teenager-Vergnügungen mit kindlich anmutenden Streichen zu sabotieren.
So unterschiedlich die Mitglieder der Familie sind, so unterschiedlichen
Träumen hängen sie nach. Träume, die greifbar werden an den vier Tagen eines
verlängerten Oktoberwochenendes. Die Geschichte dieser Tage und des sich
allmählich auftauenden Unheils für jeden der Protagonisten erzählt die
Geschichte des Romans.
Joan würde gerne die Zeit zurück drehen und wieder die ersten Jahre der
Verliebtheit mit Charles in die Gegenwart ziehen. Als sie sich in einem
schwachen Moment einem anderen Mann zuwendet, entflieht sie allerdings umgehend
der heimischen Situation.
Ihre Tochter aus einer lang zurückliegenden Affäre, damals zur Adoption
freigegeben, ist seit kurzem wieder Teil der Familie und wünscht sich nichts
sehnlicher, als eine richtige Familie. Verwirrt und voller Konflikte reagiert
sie auf das Verschwinden der Mutter. Trotz ihrer Sehnsucht nach verbindlicher
Nähe wehrt sie Versuche andere ab.
Der jüngste im Bunde, Micah, eher ängstlich, wäre bereit für das Erleben von
Abenteuern und findet sich mit seinem Spielzeugrevolver nachts auf den Straßen
der Stadt wieder.
In der ersichtlichen Langeweile des alltäglichen Lebens künden dunkle Wolken
von anstehender Eskalation. Der "amerikanische Traum" vollzieht sich
im Alltag eben in ganz andere und schwerer Weise, als es so manche Legende
glauben machen will.
Tom Drury ist ein Meister der beiläufigen und dennoch genau beschreibenden
Erzählweise. Das alltäglich triste Leben in der Kleinstadt inmitten Amerikas,
ein Leben, das zur Umsetzung großer Träume wenig Raum bietet, ist nur an der
Oberfläche harmonisch. In der Schilderung der entscheidenden Nacht dieser vier
Tage entlarvt Drury lakonisch und gerade deshalb eindrücklich die innere
Unausgeglichenheit der handelnden Personen. Die letztlich übermächtige
Einsamkeit und Unfähigkeit, wirklich zueinander zu finden.
Durch den beständigen Perspektivwechsel in die Sicht der beteiligten Personen
herein entwirft Drury ein differenziertes Bild eines ermattenden Lebens, das
teilweise noch nicht einmal mehr an der Oberfläche energievoll fassbaren Zielen
folgt.
Fazit
Ein treffendes "Heimatbild", dass in seiner mitschwingenden
Trostlosigkeit die Unfähigkeit zur echten, inneren Öffnung füreinander und
die niederdrückenden Folgen für das Leben an sich generalisierend über Iowa
und Amerika hinaus nahegehend schildert. In ganz einfacher Weise erzählt und
gerade deswegen nachhaltig beeindruckend.
Vorgeschlagen von Lesefreund
[Profil]
veröffentlicht am 19. Mai 2010 2010-05-19 22:41:36