Rudolf von Waldenfels hat in seinem Buch: "Der schwarze Messias: Barack
Obama und die gefährliche Sehnsucht nach politischer Führung" die
Ursachen der Popularität Barack Obamas untersucht. Worin liegen die
Fähigkeiten dieses Politikers und welche gesellschaftlichen Hintergründe
begünstigten seinen Aufstieg?
Seine Antwort: Die Begeisterung, die einen Teil des Landes im Laufe des Jahres
2008 für Barack Obama erfasste, hat tiefere gesellschaftliche Ursachen im Lande
selbst. Sie haben zu tun mit grundlegenden Konflikten, die in der Kultur
Amerikas verwurzelt sind und die das Land schon seit Jahrzehnten verstören.
Für diese Konflikte - Waldenfels zeigt auf, dass Amerika einerseits als
"Land der Freiheit" begriffen wird, andererseits aber eben auch als
Land der Rassentrennung und Diskriminierung wahrgenommen wird. Vor dem
Hintergrund dieses "widersprüchlichen" Amerikas - welches einerseits
seine Ureinwohner, die Indianer, grausam vernichtete, seine Sklaven unmenschlich
behandelte, mit der Erinnerung an den eigenen Bürgerkrieg und weitere Kriege
fertig werden muss und auch heute noch mit einer auch geographisch
lokalisierbaren ideologischen Kluft zweier grundsätzlich konträrer politischer
Kulturen zu kämpfen hat, die zu einer "Unerbittlichkeit des amerikanischen
Kulturkrieges" zwischen dem säkularen, der Aufklärung verpflichteten Teil
der Bevölkerung einerseits und religiösen Eiferern andererseits führte, wird
Barack Obamas Erfolg begreiflich gemacht. Waldenfels zeigt dabei auch auf, wie
Obama beide Lager polarisiert, wie dies etwa beim Kampf um die Durchsetzung der
Gesundheitsreform deutlich wurde.
Barack Obamas Erfolg liegt Waldenfels Auffassung darin begründet, dass er - der
sowohl schwarze wie auch weiße Vorfahren hat - immer als Außenseiter fühlte
und eine Gemeinschaft suchte, der er sich zugehörig fühlen konnte. Diese
Sehnsucht vermittelt er in seinen politischen Reden, die inhaltlich durchaus
vage bleiben, wie Waldenfels aufzeigt: "Da ist ein ehrgeiziger Politiker,
dessen großes rhetorisches Talent darin besteht, in seinen Zuhörern ein
Gefühl der Gemeinschaft, der Versöhnung aller zu erzeugen. Da ist ein Land,
zutiefst zerstritten, das sich nach eben dieser Versöhnung sehnt. Da ist ein
Wahlkampfapparat, der das öffentliche Bild des Politikers so überhöht, dass
ein ganzes Freiwilligenheer in schier religiösem Eifer auszieht, um ihm die
notwendigen Stimmen zu verschaffen."
Dieser Satz zeigt, dass Obamas Aufstieg nicht nur durch seine glänzende
Rhetorik, dessen "Tricks" und "Kniffe" Waldenfels
ausführlich analysiert, zurückzuführen ist. Er appelliert an Gefühle, die
vom Publikum ersehnt werden, etwa das oben genannte Gemeinschaftsgefühl.
"Die Politik in Amerika funktioniert sehr viel stärker als bei uns über
Bilder, Vereinfachungen und Appelle an das Gefühl. Das kann seine guten Seiten
haben, dann nämlich, wenn, wie in Obamas Fall, jahrhundertealte Verkrustungen
aufgebrochen werden sollen, wenn eine idealistische Begeisterung die Mauer der
Vorurteile niederreißen und Raum für etwas Neues schaffen soll. Das kann aber
auch seine gefährlichen Seiten haben. Dort, wo Argumente weniger zählen als
Gefühlsaufwallungen, haben politische Rattenfänger leichtes Spiel."
Die Gefahr, die diese "Sehnsucht nach politischer Erlösung", sieht
von Waldenfels darin, dass nicht nur Idealisten wie Obama, sondern auch
politische Rattenfänger diese "Sehnsucht nach Erlösung" nutzen und
Obamas Methoden von diesem kopieren könnten: "Doch muss die Frage schon
erlaubt sein, ob Barakc Obama just mit der hoch emotionalisierten Art seines
Wahlkampfes nicht doch auch Geister gerufen hat, die die amerikanische Politik
so schnell nicht wieder los werden wird. Möglicherweise hat er Tendenzen
verstärkt, die später einmal, wenn er selber schon längst nicht mehr im Amt
ist, schlimmer Folgen zeitigen; möglicherweise hat er einer Art Populismus den
Weg bereitet, der sich die Methoden von ihm abschaut, ohne aber dieselben hohen
Ziele wie Obama zu verfolgen. Politisches Erlösertum als trojanisches
Pferd."
Diese Anmerkungen - neben einer profunden Analyse der verschiedenen politischen
Kulturen Amerikas, seiner ideologischen Gegensätze, die ihre tieferen Ursachen
in den Anfängen der amerikanischen Geschichte haben - sind das faszinierende
und packende an dieser Untersuchung über die Ursachen der politischen Wirkung
Obamas. Die Schilderung der positiven wie auch der negativen Aspekte der
amerikanischen Geschichte - auch der Ku-Klux-Klan wird hier nicht ausgespart -
macht das Werk zu einer interessanten und tiefgreifenden politischen Lektüre,
die auch noch gut zu lesen ist.
Dennoch gibt es ein paar kritische Anmerkungen von mir zu diesem Buch. Zum einen
vertieft sich der Autor so sehr in die amerikanische Geschichte, dass das Objekt
- Obama - hier zu kurz kommt. Obama selber wird nur in den ersten vier und im
Schlusskapitel - ausführlich gewürdigt. Die Kapitel über die amerikanische
Geschichte ("Amerika", "Die andere Seite der Geschichte",
"Krieg") nimmt aus meiner Sicht zu viel Raum ein. Natürlich dienen
diese Kapitel dazu, die tiefgreifenden Ursachen und nicht nur aktuelle Gründe
des Aufstieges Obamas zum Präsidenten und seiner Popularität zu beleuchten.
Aber dennoch stimmen die Proportionen m.E. hier nicht, da die Schlussfolgerung,
Obama versuche, eine Art "Gemeinschaftsgefühl" zu wecken und die oben
geschilderten Gegensätze miteinander zu versöhnen, zwar stimmig ist, aber m.E.
diese Ziele Obamas entweder für einzelnen Politikfelder konkretisiert werden
müsste (etwa: wie steht Obama zur Indianerpolitik der Weißen, wenn der Autor
schon diesem Kapitel in der amerikanischen Geschichte so viel Raum einräumt)
oder - wenn dies nicht erfolgt - die Analyse der amerikanischen Geschichte auf
wenige Thesen gekürzt werden müsste, um das Thema des Buches - Obama und die
Ursachen seines politischen Erfolges - mehr in den Vordergrund zu stellen. So
scheint es mir manchmal, als "sähe" der Autor den Wald vor lauter
Bäumen nicht mehr.
Doch dies ist für mich weniger gravierend als ein zweiter Punkt, der sich als
wirkliches Manko des Buches erweist. Ein Autor, der einen Politiker einen
"Messias" nennt und von "gefährlicher Sehnsucht nach politischer
Erlösung" spricht, muss in der Ursachenanalyse dieses Phänomens m.E. auch
auf die Ergebnisse der Charisma-Forschung zurückgreifen. Leider fällt dieser
zentrale Begriff an keiner Stelle des Buches. Zwar denkt Waldenfells über
unseren Wunsch nach der Mythifizierung der Macht nach und er erklärt an anderer
Stelle, Obama hätte niemals Erfolg gehabt, wenn er nicht auf
Aufnahmebereitschaft einer Masse, deren Sehnsüchte er genau zu seiner Zeit
zielsicher "traf." Spätestens hier hätte das Buch an analytischer
Schärfe gewonnen, wenn der Autor die Ergebnisse der heutigen Charismaforschung
in seine Betrachtungen mit einbezogen und auf Obama angewandt hätte. Denn Obama
ist - wie Martin Luther King oder Ronald Reagan in den USA - wie Hindenburg und
- leider! - auch Hitler es gewesen ist, ein klassischer Charismatiker. Wie sehen
die Ergebnisse dieser Forschung - kurzgefasst - aus:
In der Soziologie, Politik- und der Geschichtswissenschaft wird- spätestens mit
der Biographie von Ian Kershaw über Adolf Hitler über charismatische Führer
in der Politik nachgedacht.
Hierzu muss zunächst einmal gefragt werden: Was ist Charisma? Ich folge hier
den hervorragenden Erläuterungen Frank Möllers zu diesem Begriff im Band:
"Charismatische Führer der deutschen Nation". In seiner
Herrschaftssoziologie gibt Max Weber folgende Erklärung: "Charisma"
soll eine als außeralltäglich [...] geltende Qualität einer Persönlichkeit
heißen, um deretwillen sie als mit übernatürlichen oder übermenschlichen
oder mindestens spezifisch außeralltäglichen, nicht jeden anderen
zugänglichen Kräften oder Eigenschaften [begabt] oder als gottgesandt oder als
vorbildlich und deshalb als "Führer" gewertet wird. Wie die Qualität
von irgendeinem ethischen, ästhetischen oder sonstigen Standpunkt auf
"objektiv" richtig zu bewerten sein würde, ist natürlich dabei
begrifflich völlig gleichgültig: darauf allein, wie sie tatsächlich von den
charismatisch Beherrschten, den "Anhängern" bewertet wird, kommt es
an."
Das Zitat ist eindeutig: Charisma beruht zwar auf irgendeiner
"Qualität", ist jedoch keine reale Eigenschaft des Führers, sondern
die Zuschreibung seiner Gefolgschaft. Es ist dabei vollkommen unerheblich, ob es
sich dabei um eine "wirkliche" oder eine "vermeintliche"
Qualität des Führers handelt. Entscheidend sind nicht die wirklichen
Begabungen, etwa militärischer, demagogischer oder suggestiver Art, sondern die
Bereitschaft der Beherrschten, diese Fähigkeiten im Führer zu sehen und seine
Herrschaft deshalb zu akzeptieren.
Während heute in der Alltagssprache "Charisma" meistens als
individuelle Ausstrahlung einer Person betrachtet wird, begreift Weber diesen
Begriff als eine soziale Beziehung zwischen Herrscher und Beherrschtem. Der
Anerkennung und dem Gehorsam der Anhänger kommt daher eine besondere Bedeutung
zu. Dabei wird charismatische Herrschaft von Weber als "spezifisch
revolutionär" begriffen, insofern sie sich durch ihre außeralltägliche
Stellung über bestehende Regeln hinwegsetzt.
Das zentrale Problem charismatischer Herrschaft ist die
"Veralltäglichung". Bleibt dem charismatischen Führer der Erfolg auf
Dauer versagt, schwindet seine Autorität.
Frank Möller zitiert die wesentlichen Punkte charismatischer Herrschaft nach
Max Weber, die ich auszugsweise hier wiedergebe:
- Der Ausgangspunkt charismatischer Herrschaft ist eine krisenhafte Situation.
In dieser Situation kommt es für die Beteiligten zu einer "aus dem
Außerordentlichen geborenen Erregung" und dadurch schließlich zu einer
"Hingabe an das Heroentum gleichviel welchen Inhalts"
-Der charismatische Führer überwindet diesen krisenhaften Zustand. Dies betont
Weber deutlich in dem von ihm zitierten Jesus-Wort: "Es steht geschrieben -
ich aber sage euch" Charismatische Herrschaft stürzt das Vergangene, die
Tradition um, sie ist revolutionär.
-Die Anerkennung der Gefolgschaft besteht in einer als psychologisch zu
qualifizierenden "ganz persönlichen Hingabe" an das charismatische
Individuum. Diese Anerkennung ist von "Erregung" und
"Hoffnung" getragen. Diese Hingabe zieht bei den Anhängern eine
"Wandlung der zentralen Gesinnungs- und Tatenrichtung unter völliger
Neuorientierung aller Einstellungen zu allen Lebensformen und zur
"Welt" überhaupt nach sich.
-Die Legitimität charismatischer Herrschaft beruht nicht auf Ordnungen und
Satzungen wie die - neben der charismatischen Herrschaft anderen beiden
Idealformen legitimer Herrschaft -, der traditionalen oder legalen Herrschaft,
sondern auf der Bewährung der außerordentlichen Qualitäten des Führers in
der Praxis. Versagt die charismatische Herrschaft in ihrer Wirkung für das
"Wohlergehen der Beherrschten", so schwindet ihre Anerkennung.
Charismatische Herrschaft ist daher typischerweise labil.
-Der charismatische Herrschaftsverband ist eine emotionale Vergemeinschaftung
auf der Grundlage des Charismas des Führers. Daher ist charismatische
Herrschaft "spezifisch irrational im Sinne der Regelfremdheit" Da
charismatische Herrschaft "labil" ist, ist sie nur als
"Anfangserscheinung" denkbar. Ihr Schicksal ist es, "durchweg mit
dem Einströmen in die Dauergebilde des Gemeinschaftshandelns zurückzuebben
zugunsten der Mächte entweder der Tradition oder der rationalen
Vergesellschaftung.". Diesen Prozess bezeichnet Weber als
"Veralltäglichung".
Charismatische Legitimation kann von den Beherrschten "antiautoritär"
(so Frank Möller) umgedeutet werden, indem die Herrschaft des charismatischen
Führers nicht mehr aus seiner außergewöhnlichen Qualität, sondern aus der
Anerkennung seiner Anhänger abgeleitet wird. Der Begriff
"antiautoritär" bezieht sich dabei auf die nach unten verlagerte
Legitimität, er sagt nichts über die tatsächliche Macht des Führers aus.
Wodurch bezieht der charismatische Führer die Anerkennung seiner Anhänger? Er
muss nicht zwangsläufig Erfolg haben, sondern er muss über klare Ziele,
Vorstellungen und möglicherweise eine Vision verfügen. So erweist sich das
Verhältnis von charismatischer Kommunikation und Erfolg als wesentlich
komplexer, als Max Weber es angedeutet hat. Nicht der Erfolg, sondern die Vision
des Führers erscheint überzeugend und die Person des Führers verspricht, eine
politische Krise zu lösen. Diese Vision wird von den Anhängern geglaubt. Es
ist also letztlich das Vertrauen, das die Anhänger in die
Problemlösungskompetenz des Führers setzen, das sein Charisma erzeugt
(Paradebeispiel in der Geschichte und Charismaforschung: Hitler, der die
Weimarer Republik abschaffen wollte und die Vision einer neuen
"Volksgemeinschaft" anstrebte, die er in seinen Reden nebulös
ankündigte und somit für viele, die das demokratische System der Weimarer
Republik ablehnten, zum Hoffnungsträger wurde). Auf der Grundlage des
Vertrauensvorschusses kann der politische Führer seine Erfolge erringen.
(Dauerhafte) Erfolglosigkeit kann daher zum Verlust des Charismas führen. Doch
nicht nur Erfolglosigkeit, sondern Verlust an Authentizität kann diesen Verlust
des Charismas bewirken. "Zwischen Person und Bild darf kein Zwiespalt
entstehen, die charismatische Kommunikation geht also immer davon aus, die reale
Person abzubilden. Nur dem authentischen Politiker kann vertraut werden, nur
sein Zukunftsversprechen ist glaubwürdig. Opposition gegen einen populären
Politiker zeigt sich daher darin, dass seine Authentizität angegriffen und er
als Lügner dargestellt wird." Doch auch solche Vorwürfe können das
Charisma einer Führungsfigur nur dann beschädigen, wenn sie geeignet sind,
Zweifel in der eigenen Anhängerschaft des Führers anwachsen zu lassen.
An diesen Betrachtungen - Wolfram Pyta hat dies klassisch an seiner
Hindenburg-Biographie gezeigt - wird deutlich, dass es sich bei Obama um einen
Charismatiker ersten Ranges handelt. Gerade sein auch mit dunklen Schattenseiten
verbundener Aufstieg in Chicago, den Waldenfels ausführlich in dem Kapitel:
"Die windige Stadt" beschreibt, belegt dies eindeutig. Es wird in
diesem Kapitel deutlich, dass Obama für seinen Aufstieg selber politische
Tricks anwandte, um gefährliche Rivalen in Vorwahlen "auszuschalten"
und - um seines Aufstieges willen - auch korrupte Politiker stützte.
"Vorwerfen kann man Obama jedoch eines: Den hohen moralischen
Anforderungen, die er in seinen Wahlkampfreden immer weider stellte, wurde er
selber zumindest während der Jahre in Chicago nicht immer gerecht." Doch
es störte nicht. Zwischen Person und Bild entstand - zumindest dauerhaft - kein
Zwiespalt.
Auch die Enttäuschung über Obama nach einem Jahr Präsidentschaft ist mit den
oben zitierten Ergebnissen der Charismaforschung erklärbar. Dauernde
Erfolglosigkeit kann zu einem Verlust der Anerkennung durch die Anhänger
führen. Ob es so kommt, bleibt offen.
Fazit
Hätte Waldenfels sein - interessantes - Buch etwas umstrukturiert und die
Ergebnisse der Charismaforschung erläutert - durchaus auch auf Kosten der - an
sich hochspannenden - historischen Analysen über Geschichte, Konflikte und
politische Kulturen des Landes - wäre das vorliegende Werk ein erstklassiges
Buch geworden.
So ist es durchaus lesenswert, greift aber in der Analyse der Ursachen des
politischen Erfolges von Obama aufgrund des Fehlens der Ergebnisse der
Charismaforschung (noch nicht einmal der Begriff kommt in dem Buch vor!) m.E. zu
kurz..
Vorgeschlagen von Bernhard Nowak
[Profil]
veröffentlicht am 28. März 2010 2010-03-28 14:48:04