Mit großen Erwartungen hatte ich Dalos Buch gekauft, weil er auf der Leipziger
Buchmesse mit dem Preis für Europäische Völkerverständigung ausgezeichnet
worden war. Leider hat das Buch meine Erwartungen nicht erfüllt. Das Buch
beschreibt den Umbruch des Jahres 1989, das Jahr der Systemtransformation in
Osteuropa. Nach einer kurzen Einleitung über die sowjetischen Motive, die
Satellitenstaaten des Ostblockes aus ihrer Umklammerung zu lösen (eingegangen
wird auf eine Politbüro-Äußerung Gorbatschows aus dem Jahre 1986, man müsse
auf die militärische Lösung von Krisen in diesen Staaten verzichten, sonst
werde man sie sich (wirtschaftlich) auf den Hals "laden")werden zwar
zutreffend die wirtschaftlichen Belastungen der "Unterhaltung" dieser
Regime durch die UdSSR benannt. Doch das einzig Interessante an diesem Kapitel,
in dem in erster Linie die Gespräche Gorbatschows mit den Ostblock-Parteichefs
am Rande der Trauerfeierlichkeiten für Vorgänger Tschernenko (der keineswegs
Gorbatschow als seinen Nachfolger auserkoren hatte, wie fälschlich behauptet
wird, sondern wohl ein Mitglied der alten Garde des Kreml, etwa Viktor Grischin,
Gorbatschow vorgezogen hätte und mit 73 und nicht mit 74 Jahren starb)referiert
werden, ist die Analyse der Intention für Gorbatschows Politik von Glasnost und
Perestroika:
- Die Sowjetunion verzichtet auf das Rüstungsniveau der Achzigerjahre, zieht
sich aus den militärischen Konfliktzonen zurück
- findet mit dem Westen einen Modus Vivendi, um von dort die Technologie zu
bekommen, mit der sie ihre stagnierende Wirtschaft wieder ankurbeln kann
- löst politische Spannungen, indem es den bürokratischen Druck auf Kultur und
Öffentlichkeit durch Glasnost mildert und bestimmte Institutionen, vor allem
lokale Selbstverwaltungen, demokratisiert
- Betriebe und Fachministerien erhalten eine görßere Selbstständigkeit, unter
anderem auch das Recht, ausländische Partner zu kontaktieren
- Privatpersonen dürfen kleine Unternehmen oder Kooperativen gründen
So weit, so gut. Warum aber Gorbatschow im Zuge des "neuen Denkens"
die Breschnjew-Doktrin aufgab (ein Berater bezog sich auf den Song von Frank
Sinatra: "I did it my way"), dass also Gorbatschow sein Denken
wandelte und erkannte, dass zu einem "Sozialismus mit menschlichem
Antlitz" auch der Verzicht auf Unterdrückung und Einmischung gehörte,
wird in dem Buch nicht deutlich genug herausgearbeitet.
Außerdem wird in keinster Form auf die Ergebnisse der Forschung der
Systemtransformation, wie sie etwa Wolfgang Merkel so hervorragend
herausgearbeitet hat, hingewiesen. Merkel hat nicht nur die Begriffe autoritäre
und totalitäre Systeme genau voneinander abgegrenzt, er hat auch die
Stabilität bzw. Instabilität politischer Systeme untersucht und
Ursachenkomplexe für das Ende der autokratischen Systeme, zu denen alle
genannten Systeme in Osteuropa zählen, untersucht. Dabei hat er eindeutig
festgestellt, dass systeminterne Ursachen und externe Gründe bei dem Fall der
Regime in Osteuropa zusammenfielen:
- eine Legitimitätskrise aufgrund ökonomischer Ineffizienz
- Wegfall externer Unterstützung - der UdSSR
-der Dominoeffekt
Welche Rolle spielte der sowjetische Geheimdienst KGB bei den Umstürzen? All
dies wird in der Untersuchung von Dalos, die auf der beschreibenden Ebene
"stehenbleibt" und die Ursachenforschung zu sehr in den Hintergrund
rpckt, nicht eindeutig dargestellt. Es wird zwar verwiesen, dass der seit 1988
amtierende sowjetische Botschafter in Bulgarien dem Geheimdienst KGB angehörte
und sogar der sowjetische Geheimdienstchef Krutschkow selber tätig wurde.
Dennoch werden die Hintergründe der Ereignisse nur angedeutet. Insofern werden
die Entwicklungen nur beschrieben und vor allem die Gründe, die Gorbatschow
veranlassten, die Staaten ihren Weg gehen zu lassen, zu monokausal auf
wirtschaftliche Gründe zurückgeführt.
Und dies ist leider zu wenig. Da kann man dann auch Gorbatschows oder
Tschernajews Erinnerungen lesen (aus letzteren wird durch den Autor selber
häufig zitiert), dann weiß man mehr oder zumindest genauso viel wie aus Dalos
Beschreibungen.
Außerdem gibt Dalos zwar eine Auswahl an Quellen, aber nur am Ende. Die Zitate
in den einzelnen Kapiteln werden nicht nachgewiesen. Als wissenschaftliche
Arbeit ist dies eindeutig nicht ausreichend.
Und da stellt sich für mich die Frage nach der Zielgruppe? Wer soll von dem
Buch angesprochen werden?
- Interessierte Laien: für die sind die Einzelheiten teilweise zu ausschweifend
und langamtmig
- Wissenschaftler: können es m.E. nicht sein, denn das Buch genügt keinesfalls
wissenschaftlichen Ansprüchen.
Fazit
Fazit: Ich war von dem Buch aus den oben genannten Gründen sehr enttäuscht.
Für den Systemuntergang der DDR kann ich nur auf das hervorragende Buch von
Andreas Rödder hinweisen, in dem alles Wichtige zur dortigen
Systemtransformation und dem Untergang der DDR aufgeführt ist. Für die anderen
Länder gibt es - teilweise aus den 1990-ger Jahren - ebenfalls hervorragende
Literatur, die teilweise in der Quellenauswahl verzeichnet ist. Sie dürften
eher als das vorliegende Werk geeignet sein, die Ursachenkomplexe für das Ende
der Diktaturen in Osteuropa zu erklären und nicht nur dieses Ende zu
beschreiben.
Vorgeschlagen von Bernhard Nowak
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veröffentlicht am 21. März 2010 2010-03-21 10:19:34