Als Rogges
Kinder brauchen Grenzen 1993 erschien, ahnte wohl niemand, dass das
Thema 15 Jahre später noch immer polarisieren würde.
Eltern setzen Grenzen vertiefte 1995 das Thema Grenzensetzen. In
der Neuausgabe dieses Ergänzungsbandes mit dem Untertitel "Partnerschaft
und Klarheit in der Erziehung" nimmt der populäre Autor die Diskussion um
den Sinn des Grenzensetzens erneut auf. Rogge sieht Grenzen als gegeben, weil
Kinder in einem bestimmten Alter manches noch nicht können. Grenzen zeigen
Kindern ihre Fähigkeiten, Grenzen schützen und ermutigen, Grenzen setzen
ethische Maßstäbe, Grenzen helfen Kindern, Eigenständigkeit zu entwickeln.
Wichtig sei es, Grenzen in einer Art zu setzen, die das Kind nicht kränkt.
Der Autor beherrscht die Kunst, sich selbst auf die Schippe zu nehmen und seine
Leser zum Lachen zu bringen. Sein Verständnis für den täglichen
Erziehungs-Stress empfinde ich als sehr wohltuend. Schmunzelnd erkennt man sich
und seine Schwächen in Rogges plakativen Beispielen wieder - das Zutexten der
Kinder, die eigene Inkonsequenz oder die Überbesorgtheit, die verhindert, dass
Kinder an ihren Aufgaben wachsen können. Rogge geht auf den Unterschied
zwischen Konsequenz und Strafe ein, gibt Einblick in die besonderes Sichtweise
von kleinen Kindern im magisch-phantastischen Alter und er vermittelt Eltern,
wie sie ihren heranwachsenden Kindern Halt vermitteln können. Wir erfahren, wie
man den Kindern nicht die Verantwortung aus der Hand nimmt, nicht die Probleme
für die Kinder zu lösen versucht. Den elterlichen Wunsch nach Patentlösungen
oder Ratschlägen bedient der Autor nicht. Stattdessen nimmt er das
Harmoniebedürfnis der Mütter aufs Korn und zeigt mitleidlos, dass Kinder
Inkonsequenz aufgrund von Bequemlichkeit ihrer Eltern erkennen und gezielt für
ihre Zwecke nutzen.
Wer Rogges Bücher aufmerksam liest, lernt sein Kind genau zu beobachten, sich
zu fragen, was es mit seinem Verhalten bezwecken will, welchen Vorteil es sich
verspricht. Die Perspektive zu wechseln, sich in sein Kind zu versetzen, ohne es
gleich verändern zu wollen, ist problemlos zu lernen. Sehr gelungen fand ich,
wie der Autor den Unterschied zwischen Erziehung und Beziehung differenziert.
Normative Klarheit (nach Otto Speck) ist eine der Säulen, auf denen Rogges
Ideen ruhen. Wir sollten unseren Kindern mit Festigkeit vorleben, was wir ihnen
vermitteln wollen, sollten mit kleinen Kindern so bildhaft und anschaulich
sprechen, wie es ihre Entwicklung erfordert. Wenn wir zwischen Sach- und
Beziehungsebene unterscheiden, werden wir leichter eindeutige Botschaften oder
Ich-Botschaften aussenden können. Ein simples Beispiel dafür ist die
Verkehrserziehung. Anstatt Kinder zu ängstigen, immer wieder auf sie
einzureden, lautet Rogges Beispielbotschaft: "Ich habe Angst um
dich".
Dass Eltern sich auf keinen gesamtgesellschaftlichen Konsens mehr stützen
können, wie Kinder erzogen werden sollen, kompliziert die Bezeihung zwischen
Elternhaus und Schule, zwischen Eltern und Kindergarten, merkt Rogge an. Grenzen
für eine Gruppe von Kindern zu entwickeln, fällt schwer, wenn Kindern zuvor
von den Eltern noch keine individuellen Grenzen aufgezeigt worden sind.
Pädagogen erwarten, dass Kinder Grenzen respektieren; Eltern erwarten heute,
dass Lehrer und Erzieher ihnen diese Aufgabe abnehmen.
In einem eigenen Kapitel geht Rogge am Beispiel von Actionfiguren und
Spielzeugwaffen auf das Thema Gewalt und Aggression ein. Die Faszination von
Kampf und kriegerischen Spielen sieht Rogge als normalen Entwicklungsschritt;
denn das Böse und das Mächtige habe Kinder schon immer fasziniert. Doch vielen
Eltern fällt es schwer, die Flucht in Traumwelten oder Angst und Wut ihrer
Kinder zuzulassen. Der Autor hat beobachtet, dass gerade Mütter, Erzieherinnen
und Lehrerinnen Rangeln und Toben der Kinder am liebsten völlig verbieten
würden. Wer die gute alte Kissenschlacht konsequent ablehne, verhindere, dass
Kinder ihre Muskelkraft einschätzen und ihren aggressiven
Persönlichkeitsanteil steuern lernen. Grenzüberschreitungen gehören für
Rogge zum Toben dazu.
Jan-Uwe Rogge geht auf den Umgang kleiner Kinder mit dem Tod ein, ermutigt
starke, gegen Missbrauch geschützte Kinder zu erziehen und setzt sich
ausführlich mit den Übergängen der Kindheit beim Eintritt in den Kindergarten
und in die Schule auseinander. Er lehrt zudem, das rollenspezifische kindliche
Spiel von Jungen und Mädchen in seiner Bedeutung für die Entwicklung zu
verstehen. Abschließend listet das Buch "Mut machende Literatur" im
Anhang auf.